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verschiedene: Die Gartenlaube (1854)

Sie aussehen,“ und er trat so dicht zu mir heran, daß unsere Füße sich berührten; sein Blick ruhte mit durchdringender Schärfe auf meinen Zügen und es war mir, als hinge von diesem Blicke ein Theil meines Geschickes ab. Ich weiß nur zwei Blicke ähnlicher Art mich zu erinnern: von Immermann und Kaulbach, und in jenem Augenblicke fiel mir wirklich eine Aehnlichkeit Gutzkow’s mit jenen beiden Männern auf. Gutzkow nannte mir sofort mit glücklichem Treffen zwei Männer, der eine in London, der andere in Zürich lebend, mit denen ich Aehnlichkeit hätte, und die Nennung dieser Namen führte uns bald in ein ernstes Gespräch über Literatur, Kunst und Staat; ich brachte das Gespräch auf sein Schaffen, er beschämte mich mit der Güte, von meinem eigenen Schaffen zu sprechen, so wurde es Mittag und ich war gleich ein liebevoll eingeladener, ein glücklicher Gast am Tische des berühmten Mannes. Zwei kräftige, stämmige Knaben von zwölf und vierzehn Jahren (aus Gutzkow’s erster Ehe) vergrößerten die Tafel und waren mir interessant, um aus ihrem Wesen und ihren Zügen viele Elemente des Vaters zu entziffern. Bei längerem Aufenthalt in Dresden hatte ich das Glück nach und nach ein herzlich aufgenommener Freund im Gutzkow’schen Hause zu werden und ich muß offen gestehen, daß jede Stunde in diesem Kreise mir von nachhaltiger Freude, von nachwirkendem Nutzen war. Der verständige, gescheidte und herzlich liebevolle Ton des ganzen Hauswesens, der ganzen Familie, war wohlthuend; Gutzkow als Gatten und Vater zu beobachten, war liebenswürdig, interessant; die kleinen Kreise der Gesellschaft waren gesucht und wurden einfach-natürlich belebt; es handelte sich da nie um Allotria’s und Geklatsche und doch war meist Alles auf das Naheliegende, auf das Fruchtbare und Nützliche gerichtet; man lebte nicht in Himmeln und Idealen, sondern auf der gesunden Erde, ebenso fern dem sogenannten „Genialen,“ als dem „Spießbürgerlichen;“ nicht berlinisch frivol die schwere, ernste Zeit mit Witzen behandelnd, aber auch nicht geseufzt und geklagt, sondern mit Ernst und Kraft das Unabänderliche erfassend und das Mögliche erwägend. Gutzkow’s außerordentliche Klarheit und Schärfe, sein reeller Patriotismus, sein sittliches Pathos traten mir dabei ebenso persönlich entgegen, wie das Alles mir stets aus seinen Schriften entgegen trat. Dann und wann wurde auch Musik gemacht; Gutzkow hört sie gern; an die Thüre gelehnt und den Blick von der Gesellschaft abgewendet, so stand er dann und war ganz Ohr, ganz Gefühl. Er selbst spielt recht gut. Oft auch wurde gelesen und merkwürdig, wie ich es sonst bei Keinem fand: Gutzkow liest ein Drama, ein Gedicht, zum erstenmale, ihm ganz fremd, und doch sofort mit einer so sicheren Charakteristik der betreffenden Person oder der betreffenden Stimmung, als wenn er das Ganze schon genau kenne. Ein wunderbarer Instinkt läßt ihn da nie fehlgehen. Vielleicht hängt dies mit einer Eigenschaft zusammen, die der berühmte englische Phrenologe Nöel an Gutzkow’s Schädel herausfand: großes Darstellungstalent. Vielleicht wäre Gutzkow ein großer Schauspieler geworden, wenn er nicht eben ein großer Darsteller im Roman und Drama geworden wäre. In besonders heitern Stimmungen läßt er übrigens jenes Talent auch noch anders hervortreten; er copirt mit großem Glücke irgend wie bekannte Persönlichkeiten; so giebt er z. B. eine Scene aus dem Leben des weiland berühmten Theaterdirectors Schmidt in Hamburg mit unnachahmlicher Treue und Komik. Ueberhaupt kann Gutzkow sehr heiter und ein liebenswürdiger „Kneiper“ sein, wenn er auch im Ganzen mehr ernst und zurückhaltend ist und es stets war. Das moderne „Genialsein“ im Wirthshaus etc. hat er stets verschmäht; er hat seine Zeit und Kraft wacker zusammengehalten und er kann wohl sagen, daß er ein redlich angewendetes Dasein, von sittlichem Ernst getragen, als fruchtbares Kapital zurückgelegt hat. – Hier wollen wir denn von seiner Person übergehn zu seinem Wirken als Schriftsteller. Dieses reiche und umfassende Wirken liegt zwischen seinen beiden Werken: „Wally“ und „Aus der Knabenzeit.“ Jenes ist zwar nicht das erste, was er herausgab; vorher erschienen schon – anonym, – die in Rousseau’schem Geiste geschriebenen „Briefe eines Narren an eine Närrin,“ von Börne sehr gefeiert, dann der phantastisch-satyrische Roman: „Maha Gura, Geschichte eines Gottes,“ die aus dem Morgenblatte und der A. Allgem. Ztg. gesammelten: „Novellen,“ „Soireen“ und „Oeffentliche Charaktere,“ dann auch noch das gegen viele Schwächen der Zeit gerichtete satirische Drama: „Nero;“ diese Werke hatten den Verfasser nun zwar schon bedeutungsvoll in die Literaturkreise eingeführt, ihn als einen Hauptträger der damals beginnenden oppositionellen Literatur des „jungen Deutschlands“ bezeichnet, große Erwartungen von ihm angeregt, viele Feinde ihm zugezogen, aber für die große Oeffentlichkeit wurde Gutzkow erst nach dem Erscheinen seiner „Wally“ ein bekannter Name; theils durch das eigenthümliche, seltsame Buch selbst, theils durch die kirchlichen und polizeilichen Verfolgungen bis zur Einkerkerung, die dasselbe dem Verfasser zuzogen. „Aus der Knabenzeit“ ist das neueste Werk Gutzkow’s, und so schließen denn beide sein übriges Wirken ein. Dies bewegte sich nun nach drei Seiten hin: in kritischen Schriften, in Bühnenwerken und in Romanen, und es ist bereits eine historische Thatsache, daß er in jeder dieser Richtungen hin das Wirkungsvollste brachte, was die Gegenwart darbietet, wenn dabei auch Unbedeutenderes und Irrthümliches. Seine kritischen Schriften konnten zwar, ihres Stoffes und der Form der Kritik überhaupt wegen, nicht allgemein und populär werden, indessen wurde die deutsche Literaturgeschichte nicht allein bereichert, sondern auch gefördert durch die Werke: „Zur Philosophie der Geschichte,“ „Beiträge zur Geschichte der neuesten Literatur,“ „Goethe im Wendepunkte zweier Jahrhunderte,“ „Götter, Helden und Don Quixote,“ „Aus der Zeit und dem Leben,“ „Vermischte Schriften,“ „Wiener Eindrücke,“ „Pariser Briefe“ und „Börne’s Leben,“ ein braves Buch voll rührender Pietät; ein ebenso ehrenwerther als geistvoller Schutz gegen Heine’s frivole und perfide Angriffe gegen einen der edelsten und größten Charaktere Deutschlands.

Von seinen zahlreichen Dramen sind die meisten mit vielem Erfolge gegeben worden: so namentlich: „Ein weißes Blatt,“ „Werner oder Herz und Welt,“ „Richard Savage;“ mit „Uriel Acosta,“ so wie mit den historischen Lustspielen: „Zopf und Schwert“ und das „Urbild des Tartüffe“ wurde er indessen erst zum eigentlichen populären Bühnendichter, gewann er Erfolge, wie kein anderer jetztlebender Dramendichter, und bot er jedenfalls auch das Beste an zugleich praktisch ausführbaren Werken, was irgend die Gegenwart geboten hat. Außer den genannten Dramen gab er noch das zuerst von ihm aufgeführte biblische Drama: „Saul;“ die drei historischen Trauerspiele: „Patkul,“ „Pugatscheff“ und „Wullenweber,“ mit gediegenem, starkem Gehalt und historischem Geiste durchwebt, doch ohne wahrhaft zündende tragische Gewalt; dann die capriciösen, theils etwas bizarren, theils etwas carrikirten, doch überall mit Intelligenz und poetischem Geiste getränkten Dramen: „Der 13. November,“ „Anonym“ und „die Schule der Reichen:“ ein psychologisch tief angelegtes und sublim ausgeführtes Drama: „Ottfried:“ ein Lustspiel aus Goethe’s Jugendzeit: „Der Königslieutenant,“ geistvoll belebt, doch mehr der höheren Literatur angehörend und viel gebildetere Schauspieler verlangend, als wir besitzen. – Dies könnte man auch sagen von dem liebenswürdigen, feinen Vorspielscherz: „Fremdes Glück.“

Auch das Volksdrama betrat Gutzkow mit dem Trauerspiel: „Liesli,“ dessen dritter Act in seinem jähen und, nicht zu leugnen, grassen Ausgang wohl verhinderte, daß das Stück nicht Den Erfolg gewann, den es im Ganzen und namentlich nach den zwei ersten Akten verdiente. Diese geben eine ebenso belebende als ergreifende Wahrheit und treffende Situationen; sie müssen bedauern lassen, wenn Gutzkow den so unendlich dankbaren Boden des Volksdrama’s ein für allemal verlassen würde. Er könnte da noch Bedeutendes wirken.

In jener dritten Sphäre als Novellen- und Romandichter gab Gutzkow: „Novellen,“ unter denen: „Die Wellenbraut“ und „Die Selbsttaufe“ nicht allein als die besten des Verfassers genannt werden, sondern die auch mit zu den besten der deutschen Novellenliteratur gezählt werden müssen. Tiefe psychologische Conflikte auf’s Feinste und Lebendigste gelöst und mit echter Poesie durchdrungen. Der Roman: „Seraphine“ schließt sich in seiner kühnen Idee den Intentionen des Verfassers in der „Wally“ an, bleibt aber in der Ausführung hinter der Idee zurück. Der komische Roman: „Blasedow und seine Söhne,“ ist mehr ein geistvolles, sehr merkwürdiges und in manchen Theilen auch bedeutungsvolles Capricio, als ein eigentlich komischer Roman und hat den beengenden Fehler, daß er eine eigentlich tragische Idee komisch behandelt. Das größte dieser dritten Sphäre und überhaupt das größte von allem Wirken Gutzkow’s ist jedenfalls sein neunbändiger Roman: „Die Ritter vom Geiste.“ Der vortrefflichste Roman, den Deutschland besitzt, der uns mit Stolz den vielberühmten

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