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verschiedene: Die Gartenlaube (1859)

Ein Besuch bei Fürst Metternich.[1]
Von Schmidt-Weißenfels.

Ein heller, frischer Decembertag leuchtete auf die Kaiserstadt Wien. Der Fiaker sauste durch das Herz der Stadt, durch das alte Wallthor, über das Glacis, hinein in die Wiener Faubourg St. Germain, die schöne, palastreiche „Landstraße“. Mit einem effectreichen Ruck bannte plötzlich der wohlgeübte Wagenlenker seine Rosse vor einem stattlichen, in einfachem, aber sehr geschmackvollem Styl erbauten Palast: es war das Ziel der Tour, das Palais des Fürsten Metternich.

Ein sauberer Kiesgang führte um den Flügel des Palastes nach dem Hauptportale. Es mußte dieser Umstand dem Besucher sofort den feinen Takt eines Diplomaten erkennen lassen, der seine Besucher nicht auf offener Straße und preisgegeben neugierigen und indiscreten Augen in sein Haus eintreten ließ, sondern den Eingang in der hinteren Front angebracht hatte. Hier umgürtete ein großer, stattlicher, jetzt laubloser Park den luftigen Vorbau des Portals, dessen hohe Glasthüren in eine hohe und weite, mit einzelnen Statuen gezierte Halle führen. In ihrer linken Ecke sitzt auf bequemem Polsterstuhl der unvermeidliche Thürhüter in furchtbarem Pelz und dreieckigem Hut, wie ihn jedes Portal eines österreichischen Edelmannshauses aufweist. Beim Eintritt des Besuches erhebt sich diese riesige Gestalt, bewaffnet mit einem gewaltigen Tambourmajorstock mit schwerem silbernem Knauf, und erwartet den Vortrag des Fremden. Nach legitimem Ausweis ist es alsdann gestattet, die breite, weißmarmorne Treppe, deren[WS 1] Stufen mit einem den Schritt einsaugenden Teppich belegt sind, zu ersteigen und in die Vorzimmer der fürstlichen Wohnung zu treten.

Das Gefühl gespanntester Erwartung, vermischt mit dem eigener Unsicherheit, ist zu natürlich, wenn man zum ersten Male einem Manne gegenüber treten soll, der fast vierzig Jahre lang die Geschicke Europa’s gelenkt hat und, man kann sagen, die Seele der Geschichte seiner Zeit gewesen ist. Unwillkürlich rief ich mir das glänzende Leben des Mannes zurück, der durch die Bewegung von 1848 plötzlich aus der tiefen Spur seiner Bahn geschleudert wurde und nun, seitwärts aller Ereignisse, einen gewissen mythischen Sitz eingenommen hat. Inmitten der Reflexionen, die diesem Gegenstande entquollen, lud mich der alte, freundliche Kammerdiener zum Eintritt in das Gemach des Fürsten ein.

In der geöffneten Thür empfing mich derselbe, eine schöne, edle Greisengestalt, dessen blaue Augen leutselig unter der hochgewölbten, von Silberhaar gekrönten Stirn herniederblickten. Die hohe, etwas schmächtige Figur, umhüllt von einfach bürgerlicher Kleidung, war nur wenig von der Wucht der fünfundachtzig Jahre und eines wunderbar reichen Lebens gebeugt; ein unvergleichlicher, Ehrfurcht einflößender Adel lag über sie hingebreitet, und doch genügte der erste Blick in dies sanfte, schöne Gesicht, in diese milden, wohlwollenden Augen, um das ganze Wesen wieder mit Sicherheit und mit sympathischem Gefühl zu durchdringen.

Der Fürst lud sogleich zum Sitzen ein und er selbst nahm dicht neben mir Platz, um dadurch wegen seiner großen Schwerhörigkeit überhaupt ein Gespräch und ein Zuhören zu ermöglichen. Zum Glück war ihm der Zweck meines Kommens schon vorher bekannt gewesen, und derselbe war überdies mehr auf ein Zuhören, als auf einen Vortrag meinerseits, gerichtet. Der glückliche Instinct des Fürsten wußte überdies sein Gebrechen wenig fühlbar zu machen durch die außerordentliche Mannichfaltigkeit seiner Erzählung und die Leichtigkeit, mit welcher sein Geist von Gegenstand zu Gegenstand sprang. Man sah es ihm an und hörte, daß es ihm Vergnügen gewähre, zu sprechen – ein Umstand, der in so vorgerücktem Alter eben so erklärlich ist, wie die Wiederholungen und häufigen Abschweifungen im Laufe der Mittheilungen. Aber Charakter wie Ton dieser interessanten Plauderei waren so gewinnend und fesselnd, daß alles steife Ceremoniell im ersten Moment verschwunden war und keinerlei Zwang den Genuß des langen Zwiegesprächs schmälerte. Dabei schien die Mittagssonne in das große, elegant und wohlig möblirte Zimmer hinein, so daß auch die äußere Umgebung ihren Theil an der Annehmlichkeit dieser Stunden beitrug.

Die Verhältnisse ermöglichten es, daß das Gespräch vornehmlich über die Zeit rollte, welche der Fürst Metternich, man kann wohl sagen, mit machen half. Das ganze Leben dieses Staatsmannes that sich durch seine eigene Betheiligung auf, und die Gedanken, welche sich schon vorher mit diesem Gegenstande beschäftigt hatten, mußten natürlicher Weise in dem Gewebe der biographischen Mittheilungen hängen bleiben.

Die Metterniche stammen bekanntlich vom Rhein. Ihre Vorfahren waren häufig die geistlichen Herren von Köln, ergeben dem deutschen Kaiser, aber auch stolz auf die adlige Macht, die sie bildeten. Der Vater des berühmten Diplomaten trat zuerst förmlich in kaiserliche Dienste und ward Oesterreicher, doch bevor dies geschah, wurde zu Coblenz 1773 der jetzige Fürst Clemens Wenceslaus Nepomuk Lothar geboren. Seine erste politische Rolle war, im Alter von siebzehn Jahren als Ceremonienmeister des katholischen Theiles der westphälischen Grafenbank bei der Krönung des letzten deutschen Kaisers zu fungiren; dann begann er jenes frohe, lebenslustige Cavalierleben, wie es zu seiner Zeit florirte und wie es der Fürst, selbst inmitten der späteren großen Geschäfte, fortzusetzen liebte.

Die Gesandtenposten und die diplomatische Carrière waren damals Privilegien des hohen Adels und wurden gemeinhin wie edelmännische Passionen betrieben. Kein Wunder, daß der Kaiser 1794 den jungen und schönen Grafen Metternich zum Gesandten im Haag ernannte, und daß dieser sich auf seine neue Stelle, wie auf ein neues Reizmittel seines genußliebenden Lebens freute. Leider verdarben die republikanischen Franzosen dem jungen Staatsmann sein Vergnügen, denn sie nahmen die Niederlande gerade in dem Augenblicke Oesterreich fort, als dieses für dieselben einen Gesandten ernannte. Verstimmt ging der Gesandte ohne Posten nach Wien, heirathete die Enkelin des großen schlimmen Kaunitz und saß dann in Verein mit seinem Vater in jenem unglücklichen Rastadter Friedenscongreß, der durch den Mord der französischen Gesandten so traurige Berühmtheit erhielt.

Es scheint, als wenn der Graf im Grunde keine große Vorliebe für die staatsmännische Laufbahn gefühlt habe, mindestens äußerte der Greis in Bezug auf jene Zeit, daß er lediglich einem Befehle des Kaisers gehorcht habe und daß er, wie später als Diplomat, so vielleicht auch als Professor der Geologie oder der Chemie, wofür er sehr große Vorliebe gehegt, sich Ruhm erworben hätte. „Ich kam,“ meinte der Fürst, „durch meine Geburt und meinen Rang sogleich in die höchste Sphäre der Diplomatie und habe ein halbes Jahrhundert darin gelebt, ohne gestiegen zu sein. Auch hatte ich es nicht nöthig; die Güter und das Vermögen meiner Familie waren groß genug, mich unabhängig und nach meinem Vergnügen leben zu lassen.“

Indessen – l’appétit vient en mangeant, auch bei der Diplomatie. Der junge Metternich wurde 1801 als Gesandter nach Dresden und 1803 nach Berlin geschickt. Er ward bald zufrieden mit seinem Loose, denn er war einer der glücklichsten Gesandten. Ein perfecter Cavalier, geistreich, unendlich liebenswürdig, jung, schön, reich, von einnehmendem Wesen, Freund der Liebe und der Jagden, – wie hätte es anders sein können, als daß alle Frauen von Gefühl, alle Männer von Geist und Lebenslust für ihn schwärmten? Damals trat Metternich auch in Beziehung zu den meisten jener Persönlichkeiten, die später seinem Wirken am nächsten standen, wie Gentz, Pilat, Adam Müller, die Herzogin von Sagan; oder denen er in späterer Zeit als Freunden oder Gegnern begegnete, wie Humboldt, Varnhagen von Ense, Hardenberg u. s. w. Erst die furchtbare Niederlage Deutschlands 1805 und 1806 störte dies glückliche Leben des Gesandten, der nun (1806) mit der ernsteren und schwierigen Mission betraut wurde, das unglückliche Oesterreich am übermüthigen Hofe von Paris zu vertreten.

Erst hier entfaltete Metternich seine glänzenden Talente als Diplomat. Gegen die heftige Despotie Napoleons verstand er, äußerste Ruhe, Geschmeidigkeit und feinen Takt oftmals siegreich anzuwenden, und wenn er auch seinem Staate das Schicksal eines neuen furchtbaren Krieges nicht ersparen konnte, so hatte er doch vielleicht von allen Diplomaten, selbst den französischen, am meisten die Gunst und das Vertrauen des Cäsars erworben, besonders als

  1. Dieser Artikel liegt bereits seit einigen Monaten in unserm Redactionsbureau, dürfte indeß auch heute, wo die Todesnachricht hier eintrifft, noch immer von großem Interesse sein.      D. Redact.

Anmerkungen (Wikisource)

  1. Vorlage: dessen
Empfohlene Zitierweise:
verschiedene: Die Gartenlaube (1859). Ernst Keil's Nachfolger, Leipzig 1859, Seite 369. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1859)_369.jpg&oldid=- (Version vom 28.6.2023)