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verschiedene: Die Gartenlaube (1868)

der Geschichte aus dem Protestantenverein bei seiner Gründung 1863 den Pathenbrief ausgestellt, indem er ihn willkommen hieß als den ersten Zeugen davon, daß das liberale Bürgerthum die ungeheure Wichtigkeit der Religion für das Gesammtleben des Volkes zu begreifen beginne. Rothe aber, „der Heilige des Protestantenvereins“, war einer jener seltenen Geister, in denen sich Kindergemüth mit der durchdringendsten, schöpferischsten Denkkraft, hingebende Frömmigkeit mit einer Freiheitsliebe und einer rücksichtslosen Willenskraft vereinigte, die wir sonst nur an den radicalen Vorkämpfern zu sehen gewohnt waren. Mit aufrichtigster Begeisterung hat er den Gedanken eines großen freien Volksvereins zur Erneuerung der evangelischen Kirche erfaßt und ihm die Ruhe seines Alters, den Frieden einer hochgeachteten Stellung geopfert. Denn viele seiner Freunde haben ihn deshalb verlassen, ja gehaßt und geschmäht. Sein Geist lebt im Verein fort, obwohl sein Tod demselben die edelste Führerkraft raubte.

Sollen wir aber die thatsächlichen Führer aufzählen, so gebührt in erster Reihe die Huldigung dem Präsidenten des Vereins, der auch zugleich den Vorsitz an den drei allgemeinen Protestantentagen in Eisenach, Neustadt und Bremen innegehabt hat, dem ersten Staatsrechtslehrer Deutschlands, Dr. Johann Kaspar Bluntschli in Heidelberg. Das ist eine prächtige Natur! Ein stattlicher Mann im Anfang der Sechsziger, mit hoher Stirn und großen Augen, einen überaus freundlichen Zug um den Mund, betritt er die Rednerbühne und indem er nun in freier, sprachgewaltiger Rede die ernsten Gegenstände der Vereinsthätigkeit bespricht, mischt er mit dem ihm eigenen gutmüthigen Humor hie und da ein schlagendes, zündendes, witziges Wort ein, so daß dem Laien mit einem Male klar wird, wie religiöse Dinge ernst und frei in der Weise jeder öffentlichen Discussion besprochen werden können, ohne daß einestheils ein salbungsvoller Kanzelton, noch anderntheils Oberflächlichkeit und Leichtfertigkeit dabei hervortreten. Er redet gerade heraus und sagt in derbem deutschen Laienmund manchmal Dinge, die sonst nur vorsichtig in den Schulausdrücken bezeichnet werden. Da athmet denn jedesmal die Versammlung freudig auf. Bluntschli ist ein zündender Redner, nicht sowohl schwunghaft, als klar und deutlich; in jedem Satze leuchten Geistestiefe und Bildungsreichthum hindurch. So war seine Eröffnungsrede des ersten Protestantentages 1865 in Eisenach ein Meisterstück ergreifender, klarer Darlegung von der Nothwendigkeit einer Vereinigung aller freien religiösen Kräfte. So war seine Schlußrede auf dem dritten Protestantentage in diesem Jahre zu Bremen ein kühner, starker Fehdebrief an alle Dunkelmänner, getragen von dem Bewußtsein, daß die Sache des Vereins die beste und gerechteste ist.

Was ihn so sehr geeignet macht, Präsident einer kirchenpolitischen Versammlung zu sein, ist die durch seinen ganzen Bildungsgang bedingte Vereinigung der staatsmännischen und der theologisch-philosophischen Studien in ihm. Er hat, seitdem er, von den Universitäten heimkehrend, selbst zuerst in seiner Vaterstadt Zürich lehrend auftrat, an allen kirchlichen und politischen Kämpfen der Schweiz thätigen Antheil, zumeist als lenkender Führer, genommen, hat dabei aber nie den theologischen und philosophischen Studien sich entfremdet, sondern in enger Freundschaft mit den bekannten eigenartigen Denkern, den Brüdern Rohmer in Zürich, die großen Räthsel Gottes und der Welt eifrig und rastlos durchforscht. Aus der Mitte der Züricher Regierung und vom Präsidentenstuhle des Großen Rathes rief ihn König Ludwig von Baiern nach München an die Universität, und auch hier alsbald sehen wir Bluntschli in unverhüllter Gegnerschaft gegen die ultramontane Reaction, eine Gegnerschaft, die ihm, wie allen „Fremden“ in der Gelehrtenrepublik Münchens, viele gehässige Angriffe zuzog. Besonders, als sich nun immer mehr herausstellte, daß im politischen Leben Deutschlands die Führerschaft Preußens das einzige Rettungsmittel vor gänzlichem Verfalle sein müsse, wandte sich Bluntschli ohne Rückhalt und mit kühnem Mannesmuthe der national-liberalen Parteibildung zu. Als die politischen Gegensätze in Baiern auf’s Schärfste sich zuspitzten, mußte ihm ein Ruf nach Heidelberg eine willkommene Erlösung aus dem undankbaren Kampfe in München bringen. Seit 1861 ist er nun alsbald auch in dem politischen wie in dem kirchlichen Leben Badens anerkannter Führer geworden. Er präsidirte der badischen ersten Kammer, der badischen evangelischen Generalsynode, dem Juristentage, dem Abgeordnetentage, kurz, die eminente Geistesklarheit, der die Lage stets von Neuem beherrschende Scharfblick, sowie die gutmüthige, milde Art, Persönlichkeiten zu behandeln, machen ihn, der in Freiheitsliebe und Gewissenstreue ein echter Protestant ist, zu einem geborenen Präsidenten großer Versammlungen.

Stellt Bluntschli nun die Einheit von lebendiger Religion und wissenschaftlicher Größe ersten Ranges dar, so tritt uns in dem Heidelberger Dekan Dr. Karl Zittel ein anderer Charakterkopf deutschen Volkslebens entgegen: der freisinnige, protestantische Pfarrer, der unter vielen Leiden und Anfechtungen Stand gehalten hat bei der freien innigen Frömmigkeit, welche er aus der Schule der rationalen Jenenser Theologie in seine seelsorgerische Laufbahn mitgebracht. Es giebt nicht mehr Viele seines Gleichen. Mit ihm haben Tausende einst den großen rationalen Grundsätzen des deutschen Protestantismus sich geweiht, mit ihm haben Tausende in den burschenschaftlichen Idealen für deutsche Einheit und Freiheit geschwärmt, aber wie Viele haben in Amt und Würde dann dem reactionären Eifer Widerstand geleistet? Wie Viele sind den alten guten Grundsätzen treu geblieben und haben für ihre Ideale nicht nur geschwärmt, sondern gelebt? Zittel ist einer von diesen Wenigen, denen zum Grundzuge des Charakters die Treue gegen die Wahrheit geworden ist. So hat er schon als Diakonus von Lörrach in Baden der politischen Sehnsucht des Volkes nach Freiheit und vernünftiger Staatsbildung lebhaften Ausdruck gegeben. Er stand dem Kerne des Volkes und dessen Herzen nahe als Berather und Leiter. Die Regierung suchte ihn durch Strafversetzung unschädlich zu machen, die Antwort des Volkes war, daß man Zittel in die Kammer wählte. Diese Periode seiner politischen Thätigkeit fällt zusammen mit den religiösen Bewegungen der vierziger Jahre. Er war das anerkannte Haupt der kirchlich freien Richtung in Baden; alle Schritte, die in dieser Beziehung geschahen, sind von seinem Einflüsse mitbestimmt worden. Es war schwer in jenem Jahrzehnt, zu klaren, deutlichen Resultaten zu gelangen. Verworren gingen die Ansichten und Hoffnungen durcheinander, eine deutliche Scheidung politischer und religiöser Bestrebungen war unmöglich, Eines hinderte das Andere. Da war auch solch’ klaren Köpfen und warmen Herzen, wie Karl Zittel, unmöglich, Vieles zu erreichen. Aber ganz Deutschland richtete damals seine Augen auf die badische Kammer, wo der Pfarrer Zittel den Antrag stellte auf Gewährung unbedingter Gewissensfreiheit den Freigemeindlern und Deutschkatholiken gegenüber. Es war der Hahnruf eines schöneren Morgens, der im März des Jahres 1848 erst anbrechen sollte. Dieses Jahr sah Zittel unter den Vertretern des badischen Volkes in der Paulskirche zu Frankfurt a. M.; auch als nach Erfurt noch einmal das Parlament berufen wurde, war er dessen Mitglied.

Seit diesem Jahre des Erwachens war Zittel Pfarrer von Heidelberg geworden. Rastlos hat er an dem Volke und für das Volk gearbeitet, als Pfarrer, als Armenpfleger, als Schriftsteller. Nacheinander hat er drei volkstümliche religiöse Blätter gegründet, redigirt und mit bestem Erfolge so dem erfreulichen Umschwunge in der Kirchenleitung Badens vorgearbeitet. Mitglied der Generalsynoden war er drei Mal, nur in der reactionären des Jahres 1855 hat er nicht gesessen. Als der sogenannte „Agendenstreit“ losbrach und die Durlacher Conferenzen den Kampf gegen das römische Concordat eröffneten, stand Zittel natürlich in erster Reihe der Kämpfer. Er ist bei weitem der populärste kirchliche Führer in Baden, denn makellos ist sein ganzer öffentlicher Charakter, ehrlich und treu ist er allenthalben befunden worden. Und diese Ehrlichkeit und hohe sittliche Würde des Mannes sind es auch, die mit aller Wärme des frommen freien Gefühls aus ihm heraussprechen und ihn nicht nur zu einem vortrefflichen Prediger, sondern überhaupt zu einem ergreifenden Redner machen.

Zittel’s jüngerer Genosse und Mitstreiter ist Otto Schellenberg, jetzt Dekan von Mannheim. Auch er nöthigt jedem Achtung ab, auch er ist eine durch unbedingte Wahrheitsliebe, Ueberzeugungstreue und tiefe geistige Bildung ergreifende Persönlichkeit, die, wo immer sie sich zeige, unbedingtes Vertrauen wachruft. Beweis für diese seine Lauterkeit ist das Verhältniß, in welchem er zu seiner großen Gemeinde in Mannheim steht – es wird wenig ähnliche, gleich edle und auf so persönliche Hochachtung gegründete Beispiele von Verehrung einer Gemeinde für ihren Pfarrer geben.

Zittel’s und Schellenberg’s Beredsamkeit wirkt hauptsächlich durch die Charakterklarheit, durch die ruhige energische Ueberzeugungswärme unwiderstehlich. Der größte Redner aber unter den Führern des Vereins ist ohne Zweifel Schenkel. Sie haben in Ihrem Blatte schon im Jahre 1865 ein kurzes Charakterbild

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verschiedene: Die Gartenlaube (1868). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1868, Seite 471. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1868)_471.jpg&oldid=- (Version vom 20.8.2021)