Seite:Die Gartenlaube (1869) 807.jpg

aus Wikisource, der freien Quellensammlung
Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
Verschiedene: Die Gartenlaube (1869)

doch lüftet: das Bild der schönen Mailänderin selbst von der eigenen Hand Goethe’s.

Bekanntlich hat die Hinneigung zur bildenden Kunst und insbesondere die Lust zum Zeichnen unsern großen Dichter fast durch sein ganzes Leben begleitet. Wie Schuchardt, der geistvolle Herausgeber des Verzeichnisses von Goethe’s Kunstsammlungen, treffend bemerkt, darf man, wenn man eine Goethe’sche Zeichnung

Goethe’s Geliebte in Rom.
Nach Goethe’s Handzeichnung übertragen von Prof. Thumann.

zur Hand nimmt, zwar kein durchgebildetes Kunstwerk erwarten, aber Erfindung, Composition, Anlage, Andeutung der Farbe sind bei den meisten Zeichnungen, besonders der Landschaften, so beschaffen, daß kein Künstler sich deren zu schämen brauchte. Schwerer als das Landschaftliche fiel ihm das Zeichnen von Figuren. Durch Naturanlage und Uebung gelang ihm wohl ein Umriß, auch gestaltete sich leicht zum Bilde, was er in der Natur vor sich sah, allein es fehlte ihm die eigentliche plastische Kraft, dem Umriß Körper zu verleihen; seine Nachbildungen waren mehr ferne Ahnung irgend einer Gestalt und seine Figuren den leichten Luftwesen in Dante’s Purgatorio ähnlich. Dennoch versuchte er sich selbst im Portraitiren. Durch Lavater’s physiognomische Studien veranlaßt und angeregt, übte er sich darin, die Portraits von Freunden auf grau Papier mit schwarzer und weißer Kreide darzustellen. Die Aehnlichkeit war nicht zu verkennen, doch war die nachhelfende Hand eines künstlerischen Freundes erforderlich, um sie aus dem düstern Grunde hervorzuheben. So befindet sich noch jetzt in Weimar ein Bild Wieland’s vom Jahr 1776, gezeichnet von Goethe. Am 24. Juni 1776 besuchte Wieland den jungen genialen Freund in dessen Garten, und es mag eine gar interessante Scene gewesen sein, als der Dichter des Götz und des Werther den früher angegriffenen, jetzt ihm herzlich befreundeten Wieland malte, im Goethe’schen Garten, im Schatten altehrwürdiger Bäume, in der Nähe blühende Rosen, – fürwahr, selbst ein charakteristisches Bild aus der Genie-Periode Weimars!

Empfohlene Zitierweise:
Verschiedene: Die Gartenlaube (1869). Leipzig: Ernst Keil, 1869, Seite 807. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1869)_807.jpg&oldid=- (Version vom 22.12.2022)