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Verschiedene: Die Gartenlaube (1874)

muthigen und lebensfrischen Geiste des deutschen Volkes im Reformationszeitalter und dann dem Wiedererwachen des Nationalgeistes unter dem alten Fritz und in den Befreiungskriegen. Und wer waren und sind noch ihre Dichter? Darüber belehrt uns Heinrich Heine so schön. „Gewöhnlich,“ sagt er, „sind es wanderndes Volk, Vagabunden, Soldaten, fahrende Schüler oder Handwerksburschen, und Letztere ganz besonders. Gar oft, auf meinen Fußreisen, verkehrte ich mit diesen Leuten und bemerkte, wie sie zuweilen, angeregt von irgend einem ungewöhnlichen Ereignisse, ein Stück Volkslied improvisirten oder in die freie Luft hineinpfiffen. Das erlauschten nun die Vögelein, die auf den Baumzweigen saßen, und kam nachher ein anderer Bursch mit Ränzel und Wanderstab vorbeigeschlendert, dann pfiffen sie ihm jenes Stücklein in’s Ohr, und er sang die fehlenden Verse hinzu, und das Lied war fertig. Die Worte fallen solchen Burschen vom Himmel herab auf die Lippen, und er braucht sie nur auszusprechen, und sie sind dann noch poetischer als all’ die schönen poetischen Phrasen, die wir aus der Tiefe unseres Herzens hervorgrübeln.“ Diese Worte schrieb Heine nieder, als ihm zum ersten Male „Des Knaben Wunderhorn“, jene Sammlung von Achim von Arnim und Clemens Brentano, vor Augen kam. Auch dieses Werk ist neuerdings von H. Killinger u. Comp. in Wiesbaden in einer illustrirten Prachtausgabe dem Publicum zugeführt worden.

Volkslieder sind nur zum Singen da, und darum war man auch früh bemüht, die alten Volksweisen zusammenzutragen. Eine der bedeutendsten Sammlungen verdanken wir O. L. B. Wolff in seiner „Halle der Völker“. Auch Scherer’s erste Ausgabe des heute von uns besprochenen Werkes führt den Titel: „Die schönsten deutschen Volkslieder mit ihren eigenthümlichen Singweisen“. Die vorliegende neueste Ausgabe kündigt sich als „illustrirte Pracht-Ausgabe“ an, die, neben einer Bereicherung des Buchs um siebenunddreißig Lieder, ihr Hauptgewicht auf die Illustration legt. Die Originalzeichnungen dazu lieferten Jacob Grünenwald, Andreas Müller, Karl von Piloty, Arthur von Ramberg, L. Richter, M. von Schwind, A. Strähuber und P. Thumann. Von der kunstreichen und sinnigen Hand des Letzteren ist die Probe, welche wir unseren Lesern auf S. 819 zu dem nachstehenden Volksliede mittheilen.


 Die Macht der Thränen.

Es kam von einer Neustadt her
Eine Wittfrau sehr betrübet;
Es war gestorben ihr liebes Kind,
Das sie von Herzen geliebet.

Sie ging einmal in’s Feld hinaus,
Ihre Traurigkeit zu lindern;
Da kam das liebe Jesulein
Mit so viel weißen Kindern.

Mit weißen Kleidern angethan,
Mit Himmelsglanz verkläret,
Mit einer schönen Ehrenkron’
War’n diese Kinder gezieret.

Und als die Mutter ihr Kind erblickt,
Schnell thät sie zu ihm laufen:
„Was machst Du hier, mein liebes Kind,
Daß Du nicht bist bei’m Haufen?“

„Ach Mutter, liebste Mutter mein,
Der Freud’ muß ich entbehren;
Hier hab’ ich einen großen Krug,
Muß sammeln Eure Zähren.

Habt Ihr zu weinen aufgehört,
Vergessen Eure Schmerzen,
So find ich Ruh’ in dieser Erd’,
Das freute mich von Herzen.“




Ernst Scherenberg. Zu den vielgenanntesten und weitbekanntesten unter unseren jüngsten Dichtern gehört zweifellos Ernst Scherenberg, der Redacteur der „Elberfelder Zeitung“, ein Neffe des berühmten Schlachtensängers. Besonders sind es die politischen und patriotischen Lieder, mit denen er seit 1859, dem Beginne der aufsteigenden Bewegung, bis heute allen Fortschritten der vaterländischen und freiheitlichen Sache gefolgt oder vorangeeilt, welche seinem Namen die allgemeine und verdiente Aufmerksamkeit zugewandt haben. In Aller Erinnerung hallt noch wieder der begeisterte Jubelruf: „Hoch Deutschland, herrliche Siegesbraut“ im August 1870, und das vielfach componirte: „Hie Papst! – Hie Kaiser!“ (October 1873) verleiht der deutschen Entrüstung über das römische Unwesen einen würdigen und mannhaften Ausdruck.

Scherenberg’s „Gedichte“ sind jetzt in einer Gesammtausgabe in Leipzig erschienen und bewähren den Ruf des Dichters auch auf anderen Gebieten. Tiefe der Empfindung, Klarheit und Fülle der Gedanken, sowie eine schöne, einfache und ungekünstelte Form sind Vorzüge, die auch jetzt noch ihren Werth behaupten und dem Dichter zu seinen vielen Freunden und Verehrerinnen immer neue gewinnen werden. Die Perle der Sammlung ist ohne Frage der Lieder-Cyclus „Verbannt“, der den Schluß des Buches bildet. Der Dichter schildert uns hier in bald wehmüthig-weichen, bald mannhaft-kräftigen Tönen die Schicksale eines nach Amerika ausgewanderten Freiheitskämpfers. Die deutschen Männer seien darauf aufmerksam gemacht, daß die deutschen Frauen und Jungfrauen das geschmackvoll ausgestattete Buch gewiß mit Freuden auf ihrem Weihnachtstische begrüßen werden.

A. Traeger.




Die Rüstung des Friedens. (Dazu Abbildung S. 826 und 827: „Die Kaisermanöver bei Hannover“.) „Militärische Schauspiele“ werden von den Zeitungen die großen Manöver genannt, zu welchen seit der Neu-Errichtung des deutschen Reichs nach den Einzelübungen der Bataillone, Regimenter und Brigaden schließlich die Divisionen der deutschen Armeecorps zusammengezogen werden, um nach vorgeschriebenem Plane alle Arbeiten eines Gefechts oder einer Schlacht durchzumachen. Durch den Ernst der Zeit haben sicherlich die großen Manöver eine höhere Bedeutung erhalten, als die von Bundestags wegen controlirten Manöver und Manöverchen der verschiedenen Contingente der Bundesarmee hatten; aus dem „Schauspiele“ ist strenge „Schule“ geworden, und nachdem der letzte große Krieg auch den Blick des Volkes für den Werth einer tüchtigen Wehrkraft gestärkt, gewinnt solch ein großes Manöver eines deutschen Armeecorps das weit bedeutungsvollere Gewicht, daß es dem Volke die Beruhigung giebt, in welcher dasselbe den Frieden mit Zuversicht benutzt und den Krieg nicht fürchtet. Diese Beruhigung hat auch das letzte große deutsche Manöver des zehnten Armeecorps bei Hannover erweckt, und deshalb halten wir eine bildliche Darstellung eines Augenblickes desselben auch in unserem Blatte für gerechtfertigt.

Am rechten Ufer der Leine, südwestlich von Hannover, erhebt sich der kahle, nur von zwei Windmühlen besetzte Rücken des Krohnsbergs, dessen breite Hochfläche von Südwest nach Nordost streicht. Am Abhang desselben liegen nach Westen die Dörfer Kirchrode und Bemerode, nach Osten Wülferode und im Norden Anderten. In der Ebene ist das Terrain von Waldungen umkränzt. Der Manöverplan war nun folgender. Das zehnte Armeecorps hatte einen Feind zu verfolgen, welcher seinen Rückzug von Minden über Hannover nach Braunschweig hin nahm und bereits Hannover im Rücken hatte, als der Befehl eintraf, Stand zu halten, Hülfe zu erwarten und eine Schlacht anzunehmen. Der Feind wählt den Krohnsberg als den günstigsten Vertheidigungspunkt; er selbst wird nur durch wenige Truppen dargestellt, deren Abtheilungen mit rothen Fahnen Bataillone und Schwadronen zu bedeuten haben; ebenso gelten einzelne Geschütze für Batterien. Die zwanzigtausend Mann des Corps mit achtundsechszig Geschützen haben nun am Krohnsberg den Feind anzugreifen, und sie besiegen ihn schließlich durch ein im französischen Krieg bewährtes Manöver, nämlich dadurch, daß eine Division des Corps die linke Flanke des Feindes umgeht und – hier bei Wülferode – ihn hinter seiner Fronte angreift. Das ganze Boden- und Manöverbild soll sehr an die Schlacht bei Gravelotte erinnert haben.

Unsere Illustration stellt den Augenblick dar, wo soeben eine große Officiersconferenz beendet ist. Wir sehen im Vordergrund zur Linken um den Tisch eine Gruppe der zahlreich anwesenden fremden Officiere, von denen die meisten an ihren Uniformen als Oesterreicher, Engländer, Russen Franzosen, Italiener, Schweden, Dänen, Niederländer, Türken etc. zu erkennen sind. Dahinter der Wagen der Prinzessin Albrecht und daneben der Kronprinz, sowie Prinz Friedrich Karl und auch die Kronprinzessin zu Pferd und in der Uniform ihres Regiments. Ebenso leicht zu erkennen sind die übrigen Officiere vom großen Generalstab des Kaisers, welcher, zur Seite den Großherzog von Mecklenburg, die soeben beginnende Attaque eines Ulanenregiments beobachtet. Ganz im Vordergrund der Höchstcommandirende des Manövers, Prinz Albrecht von Preußen, den Ulanen nachblickend. Die Thürme von Hannover ragen im Hintergrunde über den das Manöverbild begrenzenden Wald.




Nicht zu übersehen!


Mit nächster Nummer schließt das vierte Quartal und der zweiundzwanzigste Jahrgang unserer Zeitschrift. Wir ersuchen die geehrten Abonnenten, ihre Bestellungen auf das erste Quartal des neuen Jahrgangs schleunigst aufgeben zu wollen.

Vorläufig zur Nachricht, daß der nächste Jahrgang an Erzählungen bringen wird:

„Eine namenlose Geschichte“ von E. Marlitt,
„Das Capital“ von Levin Schücking,

eine Erzählung von Ernst Wichert (Verfasser von „Schuster Lange“) und eine Novelle von Karl Frenzel.




Die Postabonnenten machen wir noch besonders auf eine Verordnung des kaiserlichen General-Postamts aufmerksam, laut welcher der Preis bei Bestellungen, welche nach Neujahr aufgegeben werden, sich pro Quartal um 10 Pfennige erhöht (das Exemplar kostet also in diesem Falle 1 Mark 70 Pfennige anstatt 1 Mark 60 Pfennige). Auch wird bei derartigen verspäteten Bestellungen die Nachlieferung der bereits erschienenen Nummern eine unsichere.

Die Verlagshandlung.


Verantwortlicher Redacteur Ernst Keil in Leipzig. – Verlag von Ernst Keil in Leipzig. – Druck von Alexander Wiede in Leipzig.
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Verschiedene: Die Gartenlaube (1874). Leipzig: Ernst Keil, 1874, Seite 830. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1874)_830.jpg&oldid=- (Version vom 28.6.2020)