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Verschiedene: Die Gartenlaube (1876)

lockerer Specht; in Deinem Käfige sollst Du sitzen, bis Du blind und taub und dumm geworden.“

Und sie halten ihr Wort, die lustigen Brüder. Sie trillen den Weingott, bis seine Ränke und Schwänke an’s Ende gekommen und seine Kniffe gänzlich ausgepumpt sind. Dann lassen sie den Gedemüthigten laufen und rufen ihm nach, er möge den händelsüchtigen Amor warnen, daß nicht auch an ihm ein Exempel statuirt werde.

Dem übel behandelten Weingotte folgt ein Bauersjüngling, der in finsterer Nacht am Fenster seiner Holden steht. Seine Sehnsucht ergießt sich in hochpoetische Ausdrücke. „Mensch!“ ruft er seine Geliebte an, „Mensch, ich bitte Dich, guck heraus! Seit zwei Stunden schon gehe ich mit den Hunden hier, es regnet und stürmt, als solle der jüngste Tag anbrechen; platschnaß – bedenke doch! – sind mein Rock und ach! mein nagelneuer Mantel. Die Laterne hat der Wind mir ausgelöscht – am Himmel giebt es nur Nacht und Graus. Dir zu Liebe bin ich durch Hecken und Gräben gekrochen, habe mir – daß Gott erbarme! – mein Wams zerrissen und mir fast Arm und Bein gebrochen, und steh’ ich noch länger hier, so macht Deine Liebe mir wohl gar Winterbeulen. Beten und Singen vergeht mir. Ei zum Henker, Mensch! guck doch heraus!“

So fleht der beharrliche Dulder in den rührendsten Tonarten, aber – Undank ist der Welt Lohn. Ueber den Liebeheißen ergießt sich plötzlich von oben herab ein Sturzbad, welches einen jähen Umschlag in allen Gefühlen des männlichen jungen Herzens hervorbringt. Die ihm eben noch so lieblich schien, wird nun sofort eine garstige Hexe, ein Teufelskind, und das Ende vom ganzen Liede geben die Worte des nächtlichen Eckenstehers: „Ich geh’ nach Haus.“ –

Kleinere Gedichte, witzige und derbe, deren die Anthologie verschiedene enthält, eignen sich nicht so gut zum Mittheilen. Vortrefflich sind einige Epigramme, besonders die auf Lavater gemünzte

Grabschrift eines gewissen Physiognomen.

Weß Geistes Kind im Kopf gesessen,
Konnt’ er auf jeder Nase lesen.
Und doch – daß er es nicht gewesen,
Den Gott zu diesem Werk erlesen,
Konnt’ er nicht auf der seinen lesen.

Der humoristischen und satirischen Stücke aus Schiller’s Feder giebt es in der Anthologie noch eine nicht geringe Zahl. Von den letzteren zeichnet sich auf’s Köstlichste „Die Rache der Musen“ aus, ein längeres Gedicht, das den bekannten Gegner Schiller’s, den Almanachverfertiger Stäudlin in Stuttgart, mit scharfer Waffe traf.

Wir haben aus dem Büchlein nur die Stücke ausgewählt, die unserem Thema entsprechen. Sie sind die echten Vorläufer von „Wallenstein’s Lager“, und wer sie kennt, wird nicht im Geringsten mehr zweifeln können, daß Schiller’s Begabung für humoristische Poesie sehr bedeutend war.

Wenige Jahre später trat noch ein einzelnes, sehr spaßhaftes Product der bezeichneten Gattung hervor. Als die schmachvolle Behandlung von Seiten des Freiherrn von Dalberg dem Dichter den Aufenthalt in Mannheim unmöglich machte, gewährte bekanntlich eine edle Frau, die Mutter von Schiller’s späterem Schwager Wilhelm von Wolzogen, ihm eine Zuflucht auf ihrem einsamen Gute Bauerbach. Von dort begab Schiller sich oft nach Meiningen zum Bibliothekar Reinwald, der sich später mit des Dichters ältester Schwester vermählte (S. Nr. 20, 1875). Durch Reinwald’s Vermittelung ließ er in den Meininger wöchentlichen Nachrichten ein Gedicht erscheinen, dessen Veranlassung folgende war.

In Meiningen regierte damals der Herzog Georg, ein vortrefflicher junger Fürst; er wurde so schwer krank, daß seine Wiedergenesung kaum möglich schien. Wäre er gestorben, so wäre sein Land an Coburg gefallen, und dieses Haus wartete mit solcher Begier auf das Ableben seines Verwandten, daß der Herzog, oder eigentlich die Herzogin von Coburg, die Milizen aufbot, um sofort in das Meiningensche einmarschiren und Besitz ergreifen zu können. Aber Herzog Georg genas, und dem Coburger und seiner „Liebsten“ wurde nichts zu Theil, als Aerger und Verdruß und das Spottgedicht Schiller’s. Es ist zu lang, um auch nur im Auszuge hier mitgetheilt werden zu können.

Im Verfolge seiner großartigen Laufbahn ist Schiller, wie kein anderer deutscher Dichter, der Stolz des Vaterlandes geworden. Doch selbst im Angesichte seiner unsterblichen Werke läßt sich der schmerzliche Gedanke nicht unterdrücken, daß er noch Größeres hätte leisten können, wenn seine Jugendjahre weniger bitter, sein Leben ein längeres gewesen.




Blätter und Blüthen.


„Hermann, schla Lärm an etc.“ Auf die Frage nach Alter und Herkunft dieses Volksliedchens sind zwölf Antworten eingegangen. Zwei derselben sind geneigt, den Ursprung des Liedes bis auf Armin, den Cherusker, zurückzuleiten; von den übrigen stimmt die Mehrzahl in der Ansicht überein, daß dieses Volks- und jetzt Kinderspielliedchen weit späteren Ursprungs und höchstens auf die Zerstörung der Irmensäule durch Kaiser Karl den Großen zurückzuführen sei. Anderen geht auch dieses noch zu weit. K. Aue in Weimar wiederholt den schon mehrfach von ihm gebrachten Nachweis, daß erst um die Mitte des sechszehnten Jahrhunderts die Namen Armin und Hermann für gleichbedeutend angenommen worden seien, und daß also auch das Lied selbst nicht älter sein könne. Ein Anderer macht auf den Umstand aufmerksam, daß die Trommeln erst durch die Kreuzzüge nach Europa gekommen seien, was ebenfalls Beachtung verdient. Wir stimmen vollkommen dem bei, was „ein Westfale“, Fr. Br. zu Mühlhausen in Thüringen, darüber mittheilt und das wir hier folgen lassen:

„Zwar bemerkt Tacitus bei Gelegenheit der Lebensbeschreibung Armin’s ausdrücklich: ‚noch wird er besungen in Liedern seines Volkes‘, dennoch ist es sehr unwahrscheinlich, daß die in Frage stehenden Verse: ‚Hermann, schla Lärm an! etc.‘ ursprünglich zur Verherrlichung dieses Volkshelden gedichtet und gesungen wurden.

Zu dieser Behauptung werden wir durch eine Erklärung Grimm’s geführt, die er über denselben Reim giebt, den er jedoch in der Form, wie er noch heute in einigen Gegenden Westfalens und Hessens im Munde des Volkes lebt, mittheilt:

Hermen, sla Dermen,
Sla Pipen, sla Trummen,
De Kaiser will kummen
Met Hamer un Stangen
Will Hermen uphangen.

‚Nicht unmöglich,‘ spricht dieser gründliche Kenner unseres deutschen Alterthums, ‚daß sich in diesen, durch die lange Tradition der Jahrhunderte gegangenen und wahrscheinlich entstellten Worten Ueberreste eines Liedes erhalten haben, das zu der Zeit erscholl, als Karl die Irmensäule zerstörte. Auf den noch älteren Arminius und die Römer lassen sie sich viel weniger deuten.‘

Die fraglichen Verse möchten in ihrer jetzigen Gestalt also wohl erst in jüngster Zeit aus jenem Liede entstanden sein, da das Volk, dem das richtige Verständniß desselben im Laufe der Jahrhunderte verloren gegangen war, es sich durch Verwandlung des Ermen in den bekannteren Hermann mundgerecht machte und den jetzt untergeschobenen Grundgedanken durch willkürliche Hinzufügung des letzteren Verses weiter ausführte.“




Der Kampf mit dem Wilderer. (Abbildung Seite 169.) Nichts weniger als gemüthserquickend ist der Anblick der zwei Ringer, welche A. Franck dieser Winterlandschaft zur Staffage giebt, aber wenn er einen der schroffsten Contraste, die das Natur- und Menschenleben bietet, darstellen wollte, so ist ihm dies in hohem Grade gelungen. Des Künstlers Meisterschaft in der Wiedergabe der Schnee- und Eisduftwirkung hat sich hier abermals auf das Glänzendste bewährt. Aus dem hochstämmigen Wald athmet uns die frische Winterluft entgegen; wir waten im Schneegestöber auf dem Waldpfade dahin und können uns an den beschneiten Tannen und Sträuchern nicht satt sehen. Und so geräuschlos treibt selbst der schärfere Wind die Flocken daher, so lauschend still ist rings die ganze in feierlichem Schmuck des blüthenweißen Gewandes prangende Natur, daß es uns selbst ganz feierlich zu Muthe wird. – Da kreischt mitten in diese heilige Stille plötzlich der Wuthschrei zweier Männer, die wilder als reißende Thiere um das Leben kämpfen. Der Forstwart hat den Wildschütz auf frischer That ergriffen; die Jagdbeute liegt noch am Boden. Der Kampf ist entsetzlich; das furchtbare Ringen in der tiefen weiten Waldeinsamkeit – wie wird es enden? Wird der Mann des Gesetzes siegen oder wird der Wilderer ein zweites und das schwerste Verbrechen begehen, das der Schnee bedeckt, bis der kommende Lenz die Decke von dem geheimen Mord hebt? Oder naht bereits ein Warner für Beide, der beider Hände vor vergossenem Menschenblut bewahrt? Jedenfalls hat die Kunst hier ihre Kraft gezeigt, das Herz mächtig zu ergreifen, aber diesmal nicht, um es zu erheben, sondern um es mit dem Fingerzeig, zu was Allem der Mensch fähig sei, niederzudrücken bis zum demüthigsten Gefühl der menschlichen Schwachheit.




Herrn J. Ktzm. in Dresden. Mohren auf der Bühne finden sich außer in den Stücken, die von Gottschall in seiner „Nationalliteratur“ erwähnt werden, in Shakespeare’s „Titus Andronicus“ und „Othello“ und Grabbe’s „Herzog Theodor von Gothland“, noch in den folgenden: „Die Mohren“ von Friedrich Wilhelm Ziegler, lange Zeit eines der beliebtesten Repertoirestücke der deutschen Bühne, „Toni“ von Theodor Körner, „Der Traum ein Leben“ von Grillparzer, ein Stück, in welchem der Negersclave Zampa eine Hauptrolle spielt, und „Toussaint de l’Ouverture“ von Lamartine.


Verantwortlicher Redacteur Ernst Keil in Leipzig. – Verlag von Ernst Keil in Leipzig. – Druck von Alexander Wiede in Leipzig.
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Verschiedene: Die Gartenlaube (1876). Leipzig: Ernst Keil, 1876, Seite 172. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1876)_172.jpg&oldid=- (Version vom 9.3.2019)