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Verschiedene: Die Gartenlaube (1881)

Bluntschli’s zahlreiche Schriften, wohl mit die zahlreichsten, welche je ein schriftstellerisches Einzelleben geschaffen, bekunden trotz der Zersplitterung seiner Thätigkeit nach verschiedenen Richtungen hin eine gründliche Beherrschung und Durchdringung des einzelnen Stoffgebiets. Fast überall zeigt sich in ihnen eine Verschwisterung von Geschichte und Philosophie. Jene verfolgt das Thema in seiner geschichtlichen Entwickelung, und diese gewinnt die letzten bleibenden Wahrheiten. Eine geschmackvolle Form, der Reichthum des Inhalts und die Klarheit der Darstellung machen sie auch für den Laien zu einer interessanten Lectüre.

Ein Meister des gesprochenen Wortes, war Bluntschli auch ein gesuchter und gefeierter Lehrer der akademischen Jugend und noch darüber hinaus deren Freund und Berather. Von mittelgroßer Statur, behäbiger Corpulenz, gemessen in Ausdruck und Bewegung, entsprach sein Aeußeres ganz der ruhigen Klarheit seines Innern. Der sanfte Blick der tiefblauen Augen erzählte von dem Reichthume seines Gemüths, und das wetterharte, von einem weißen Barte buschig umrahmte Gesicht von der Festigkeit und Energie seines Wollens.

Der letzte Thätigkeitsausfluß Bluntschli’s war seine Theilnahme an der in Karlsruhe im Beginn des letzten Herbstes tagenden Generalsynode und die Führung des Vorsitzes derselben. Auf dem Wege nach einer Audienz beim Großherzog von Baden, welcher im Begriff stand, Bluntschli das Großkreuz seines Hausordens zu verleihen, umfingen diesen die neidischen Gewalten des Todes; er hat nicht mehr den Orden seines Landesherrn, aber dafür den höchsten Orden der Menschheit empfangen, den sie, in’s Erz der Unsterblichkeit gegraben, an alle Jene vergiebt, hie ihr Leben opfernd ihrem Dienste geweiht.

Fr. Helbig.





Literaturbriefe an eine Dame.

Von Rudolf von Gottschall.
XXVII.

Wiederum, verehrte Freundin, brausen des Nordens Stürme um Ihr Schloß und jagen die Wogen des Baltischen Meeres in hocherregter Brandung an’s Gestade. Sie lauschen dem Gesang der Okeaniden, aber die Meerjungfrauen singen recht eintönig dasselbe Lied, und ich fürchte, es langweilt Sie mit der Zeit; denn auch das Erhabenste verliert durch ewige Wiederholung. Sie flüchten sich in Ihr Cabinet, um die wechselvollen Bilder an Ihrer Seele vorüberziehen zu lassen, welche die Phantasie der Dichter ausgemalt hat. Und diese sind unermüdlich in ihrem Schaffen: das sagt Ihnen der Büchertisch, auf welchem die neuesten Romane deutscher Autoren sich häufen; man sieht es den gleichförmigen, meistens mattfarbigen Umschlägen nicht an, wie verschiedenartig die Physiognomie der Poeten ist, welche sich hinter dieser schlichten Hülle versteckt.

Alle productiven Kräfte, Lyriker, Dramatiker, Novellisten, wenden sich jetzt dem Roman zu. Lyrik und höheres Drama werden von dem Publicum so stiefmütterlich behandelt, daß mit den seltensten Ausnahmen buchhändlerische Erfolge nur auf dem Gebiete des Romans möglich sind. Und der Erfolg ist doch der Lebensathem jeder Muse! Darf man’s den Schriftstellern verdenken, wenn sie sich danach sehnen, gleichsam auch unter Menschen zu kommen, nicht immer allein zu hausen in der „schrecklichen Einsamkeit“, allein mit ihrem Genius und mit dem von diesem ausgestellten Wechsel auf Unsterblichkeit, welcher von der Mitwelt meistens nicht acceptirt wird?

Auch die Novellisten wenden sich dem Roman zu, der ihrer bereits bewährten Erzählungsgabe ein größeres Feld erschließt. So hat Ernst Eckstein zum ersten Male einen mehrbändigen Roman verfaßt: „Die Claudier“, und Sie werden das Werk eines so formgewandten Poeten gewiß zuerst und mit besonderem Interesse zur Hand nehmen. Der Stoff des Romans ist dem römischen Alterthum, der Kaiserzeit entnommen. Auch das wird Sie wundern: Sie gedenken jener leichtgeflügelten Humoresken aus dem Gebiete der Gymnasialpädagogik, welche ihren buchhändlerischen Flug recht oft wiederholen mußten und den Namen des Verfassers in weitesten Kreisen bekannt machten. Man konnte ihnen eine gewisse Pietätlosigkeit gegenüber den classischen Studien zum Vorwurf machen; denn der geistige Vater dieser ungezogenen Primaner kümmerte sich ja nur um die Großthaten der Schulstuben, nicht um diejenigen der antiken Musen. Und jetzt liegen von Eckstein’s Feder drei Bände eines Romans vor, der nicht blos von genauer Kenntniß des Alterthums Zeugniß ablegt, sondern auch dieselbe in einer Fülle gelehrter Noten zur Schau stellt. Der Roman ist eine Ehrenrettung der Eckstein’schein Muse gegenüber den Gymnasialprofessoren, die zum Theil schlecht auf sie zu sprechen waren.

Die Romane aus dem Alterthume sind, wie Sie wissen, besonders durch Georg Ebers Mode geworden. Die Aegyptologie in der Leihbibliothek: das bezeichnet die neueste Phase unserer literarischen Entwickelung. In den letzten Romanen des beliebten Autors spielten indeß die Römer bereits eine ebenso hervorragende Rolle, wie die Aegypter. Wenn ein Kaiser, der zufällig sich in Aegypten aufhält, zum Helden eines Romans gewählt wird, warum nicht auch ein Anderer, der nie seinen Fuß in die alten Königsstädte gesetzt hat? Und ist römisches Leben nicht unserer Denk- und Empfindungsweise verwandter, als das ägyptische? Merkwürdiger Weise, verehrte Freundin, ist dies für den Zeitgeschmack so wenig entscheidend, daß, je entlegener und fremdartiger eine Geschichtsepoche ist, desto größeres Interesse die Romanleser ihr zuzuwenden pflegen. Es ist dies der haut-goût des Aparten, der gegenwärtig einen fast bedenklichen Höhepunkt erreicht hat. Mit den Römern sind wir schon allzu vertraut, theils von den Schulbänken her, theils aus den Römertragödien, in denen man sich an Toga und Tunica, an Tricots und Sandalen satt sehen kann. Der alte Römer ist ein alter Bekannter; leben doch sogar Abkömmlinge derselben in unserer Mitte wie Otto von Corvin, der seinen Stammbaum von den römischen Corvinern herleitet und selbst die übelberufene Messalina zu seinen Ahnfrauen zählt. Doch der alte Aegypter – das war etwas Neues.

Das Rom der Kaiserzeit ist von dramatischen Dichtern und lyrischen Epikern oft genug zum Hintergrunde ihrer Gemälde gemacht worden, aber der historische Roman hat sich weniger damit befaßt. Felix Dahn’s „Kampf um Rom“ spielt bereits in der Epoche der Völkerwanderung. Ernst Eckstein hat sich die Zeit des Imperators Domitian als historischen Rahmen für seine freierfundenen Bilder ausersehen; in der That hat dieser Träger des Cäsarenwahnsinns den Reiz der Neuheit für sich, während „Nero“ bereits in allen seinen Attitüden von den poetisch-historischen Photographen auf die Bildfläche ihrer Dichtungen gezaubert worden ist. Freilich hat Nero vor Domitian eine eigenartige Färbung des Cäsarenwahnsinns voraus, die ästhetische, und gerade der gekrönte Schöngeist übt auf die ungekrönten eine besondere Anziehungskraft aus. Domitian ist in Ernst Eckstein’s Roman vor allem Anderen ein Wollüstling, der sich einer schönen reizenden Römerin Cornelia um jeden Preis zu bemächtigen sucht, anfangs mit Hülfe eines Isis-Priesters, in dessen magischen Geheimcultus er als Gott Osiris mit der Maske des Thierkopfes eingreift und in dieser Gestalt die abergläubische Schönheit in die Arme schließt, dann indem er sie unter dem Vorwand milderer Haft in das Palatium bringen läßt, doch auch hier stößt er auf unbesiegbaren Widerstand. Domitianus erscheint in diesem Roman als eine nur von niedrigster Sinnlichkeit beherrschte „Bestie auf dem Thron“.

Der eigentliche Held des Romans ist der Sohn des reichen und angesehenen Pontifex Maximus, ein junger Römer, der sich der Secte der Nazarener anschließt und zum Tode verurtheilt wird. Dieser Quintus Claudius ist von dem Dichter mit besonderer Vorliebe behandelt: der Kampf mit seinem Vater, gegen dessen Amt er durch Hingabe an den neuen Glauben frevelt, seine Beziehungen zur Cornelia, die sich zuletzt durch ihren ausdauernden Heldenmuth seiner werth erweist, seine eigene Unerschrockenheit in den auf ihn anstürmenden Gefahren – all das hat Eckstein mit sichtlicher Sorgfalt gezeichnet. Weniger tritt der Bataver Cajus Aurelius hervor, welcher die am Anfang des Romans erregte Erwartung, er sei der eigentliche Held desselben, täuscht, und nur eine sympathische, aber wenig bedeutende Figur bleibt. Auch

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1881). Leipzig: Ernst Keil, 1881, Seite 818. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1881)_818.jpg&oldid=- (Version vom 11.12.2022)