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verschiedene: Die Gartenlaube (1882)

Sein Inneres hat bis heute noch das Aussehen aus des Dichters Zeit behalten. Da liegt unten zu ebener Erde rechts das große Wohnzimmer, wo Ernestine unter ihren vier Buben waltete und sie die Sagen Homer’s lehrte, das Gartenzimmer mit der herrlichen Aussicht auf den stillen, in eine lauschige Natur versenkten Eutiner See, darüber Voß’ Studirstüblein, in dessen Fenster hinein freundlich der breitzweigige Birnbaum grüßt; neben diesem der „weit schauende Saal“, wo sich noch oft der alte Göttinger Freundschaftsbund erneuerte, sich Klopstock, Gleim, Miller, Brückner, Claudius, Wilhelm von Humboldt und andere damalige Stimmen des deutschen Dichterwaldes zum frohen Austausch von Gedanken und Gesinnungen zusammengefunden hatten. Hinter dem Hause dehnt sich bis zum See der wohlgepflegte baumreiche Garten aus, mit der Lindenlaube und den vier Linden am Ufer, wo die „Agnesbank“ ein schattiges Plätzchen zur stillen, sinnigen Betrachtung der das Auge entzückenden Natur bot.

Blick über den Eutiner See aus Voß’ Garten.
Nach der Natur gezeichnet von H. Wrage.

Und wie um das Haus herum, über See und Garten ein unnennbarer Zauber heiterster Anmuth ausgebreitet lag, so umschloß dieses Dichterheim auch im weitesten Umkreise eine Landschaft lieblichster Pracht, abwechselnd in lachenden Fluren, blitzenden Seen mit der überwältigenden Macht ungestörtester Waldeinsamkeit. Es ist erklärlich, daß unserem Dichter das weite Vaterland nirgends schöner gefallen wollte, als hier in diesem nordischen Heim; denn wo mochte der „niederdeutsche Theokrit“ auch ein sichereres Echo für seine Stimmungen finden, als in diesen abgerundeten, in sich befriedeten Formen des Wassers, in den grünen Hügelwellen und der Waldesstille, an den schilfbekränzten tief dunklen Seespiegeln, wo mehr Anregung zur stillen Einkehr in das eigene Selbst und zum ungestörten Aufblick nach dem Quell alles Trostes?

Wie sehr er die Schönheiten des eutiner Landes in sich aufgenommen, das zeigt uns am besten seine „Luise“, die unter den begeisterten Eindrücken der eutiner Landschaft empfangen und geboren ist. Ihr uns so lieblich anmuthender Hintergrund ist das getreue Conterfei der südwestlichen Umgebung des nahen Kellersees. Sie führt uns hier mit sinniger Treue in das malerisch an ihm belegene Dorf Malente – das Grünau der Dichtung – unter das Dach seines Pfarrhauses, aus dem uns ein Hauch des Friedens, fast der göttlichen Weihe entgegenweht, und wo wir in der „rosenwangigen Jungfer Luise“ des Dichters bräutliche Ernestine, in dem „ehrwürdigen Pfarrer von Grünau“ das Portrait seines Flensburger Schwiegervaters wiedererkennen.

Eutin wurde unstreitig zum Kern- und Höhepunkt auf der weiten ruhelosen Lebensfahrt des Dichters. Hier hat er zwanzig Jahre gelebt und sich unermüdlich der Erziehung seiner Knaben, seiner Muse und ernster Wissenschaft, sowie dem Verkehr mit zahlreichen Freunden gewidmet, unter welch letzteren der Dichter Graf Stolberg für ihn eine bedeutsame Stelle einnahm; an Harthörigkeit und allgemeiner Nervenreizbarkeit leidend und durch Stolberg’s Verlust im tiefsten Herzen verwundet, erbat sich Voß im Jahre 1802 Abschied und Pension.

Eutin war der Boden, auf welchem seine größten poetischen und wissenschaftlichen Werke erwuchsen, wo er den Homer vollendete, Virgil’s „Georgica“ übersetzte, wo überhaupt seine hervorragendsten wissenschaftlichen Arbeiten entstanden, die zum Theil bahnbrechend waren und von nachhaltiger Wirkung für die deutsche Sprache, Uebersetzungskunst und Poesie, für die bildende Kunst und Wissenschaft, und wo ferner seine ganze Lebensrichtung und Weltbetrachtung an den hereinbrechenden geistigen und politischen Stürmen der Zeit sich heranbildete.

Nur ungern sah man in Eutin den Mann scheiden, an dessen gefeierten Namen sich der Ruf des Städtchens und seines Gymnasiums knüpfte. Der Minister des Fürstbischofs von Eutin, Graf Holmer, schrieb ihm auf sein Abschiedsgesuch: „– meine eigene Empfindung werde ich dabei immer einer wichtigen Betrachtung aufopfern müssen; denn es wird mir unbeschreiblich wehe thun, dazu mitzuwirken, Sie von Eutin zu entfernen, dem es Vorzug war, Sie zu besitzen, und es mag im Wesentlichen noch so gut für die Eutiner Schule gesorgt werden, so steht derselben schon allein der Verlust nicht zu ersetzen, wenn sie Ihren Namen nicht mehr an der Spitze führen wird.“

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verschiedene: Die Gartenlaube (1882). Ernst Keil's Nachfolger, Leipzig 1882, Seite 481. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1882)_481.jpg&oldid=- (Version vom 1.8.2023)