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Verschiedene: Die Gartenlaube (1887)

Der erste Generalpostmeister des Deutschen Reichs.

(Schluß.)


Wie deutlich erinnere ich mich noch des Abends, da ich nach Erledigung der gesellschaftlichen Pflichten und nachdem ich mit der liebenswürdigen und anmuthigen Frau des Hauses einige Worte gewechselt hatte, das Heim des Generalpostmeisters durchwanderte und die geräumigen Zimmer forschend durchmusterte. Unwillkürlich kam mir der Gedanke, daß der Bewohner dieser Räume mit Horaz sagen könnte: „non ebur neque aureum mea renidet in domo lacunar“ (nicht von Gold und Elfenbein erglänzt in meinem Haus die Zimmerdecke); denn Alles zeugt von der größten Einfachheit. Der einzige Luxus besteht in kostbaren Gemälden und Stichen, mit denen die Wände geziert sind. Eine reichhaltige Bibliothek belehrt uns in ihrer Zusammenstellung, daß ihr Eigenthümer von jeher bestrebt gewesen ist, sich die verschiedenartigsten Gebiete menschlichen Wissens und Könnens zu erschließen; eine großartige Mineraliensammlung und Jagdtrophäen aller Art sind sichtbare Zeichen seiner Privatbeschäftigungen.

Eigenartig muthete es mich an, als ich in der Thür stand, die den Eintritt in seine geistige Werkstatt, das Arbeitszimmer, gewährt. Ein mäßig großer Raum von fast spartanischer Einfachheit, ein mächtiger Schreibtisch, Tisch und Stühle von Naturholz, sehr viele Bücher, an bevorzugter Stelle in besonderem Schranke die Klassiker des Alterthums, so weit ich sehen kann, vollständig, darunter sein Liebling, Horaz, in mehreren Ausgaben, einige Bilder – unter ihnen diejenigen von Frau und Kindern: so erscheint uns der Raum, von welchem aus das Post- und Telegraphenwesen des Deutschen Reichs seinen belebenden Hauch erhält.

Seitdem habe ich der gern gebotenen Gastlichkeit in jenen Räumen mich oft erfreuen dürfen. Es herrscht da der feine Ton, der für die inhaltsleeren Redensarten, welche so oft die Salonunterhaltung beherrschen, keinen Raum läßt. Die politischen Tagesfragen werden erörtert, Kunst und Litteratur, Geschichte und Philosophie in den Kreis der Besprechungen gezogen, und Herr v. Stephan beweist uns, daß er nicht nur als ein feiner Kenner und scharfer Beurtheiler den zeitgenössischen Erscheinungen folgt, sondern daß er auch Muße findet, von Zeit zu Zeit den klaren Himmel und das goldene Sonnenlicht der antiken Welt aufzusuchen.

Wenn er so im geselligen Kreise als Symposiarch seines Amtes waltet, da denkt Keiner daran, daß der Mann im schlichten Gewande einer der höchstgestellten Beamten des Reiches ist, auf dessen Schultern eine ungeheure Last von Arbeit und Verantwortlichkeit ruht. Hier sehen wir ihn von seiner liebenswürdigsten Seite als Gesellschafter. Nie sucht er nach einem bedeutenden Stoff der Unterhaltung, sondern überläßt es dem Zufalle, den Gegenstand herbeizuführen; aber von jedem aus leitet er das Gespräch zu einem allgemeinen Gesichtspunkte, und bald befindet man sich in dem Mittelpunkte einer anregenden Unterhaltung. Die freie Art, wie er sein ausgebreitetes Wissen handhabt und wie er sich große Perspektiven zurechtrückt, wirkt immer belebend, oft hinreißend, sei es, daß er im Kreise von Freunden und Bekannten seine Ideen entwickelt, sei es, daß er bei festlichen Gelegenheiten das Wort ergreift oder im Parlamente mit bekannter Schlagfertigkeit seine Sache verficht. Sokratischer Ernst und aristophanischer Scherz sind ihm gleich geläufig; alle seine Worte tragen das Gepräge glücklicher Geburten des Augenblicks. So bemerkte er einst, als Jemand von dem Fürsten Bismarck behauptete, er vereinige Cäsar und Cromwell in einer Person: „Jawohl, ein Cäsar und Cromwell, aber merken Sie wohl: ohne Bürgerkrieg, und dazu ein Demosthenes ohne Chäronea.“

Die Musik erfreut sich in dem Hause des Generalpostmeisters sorgsamster Pflege; er selbst verschmäht es auch heute noch nicht, zur Geige zu greifen, um die Melodien eines im Theater gehörten Stücks wiederzugeben oder das Klavierspiel eines Besuchers zu begleiten. Bei einer solchen musikalischen Gelegenheitsaufführung kam auch Richard Wagner an die Reihe, den aber Herr von Stephan mit ungewohnter Schroffheit ablehnte. Um den Grund seiner Abneigung befragt, meinte er, Wagner habe den Hegelianismus in die Musik eingeführt und auf ihn lasse sich das Wort anwenden: „Von allen seinen Schülern habe ihn nur einer verstanden und der habe ihn mißverstanden.“

Man darf manchmal zweifelhaft sein, ob man mehr über die Fülle seines Wissens oder über sein wahrhaft phänomenales Gedächtniß staunen soll. Er besitzt reiche Kenntnisse in den Naturwissenschaften, namentlich in der Mineralogie und Botanik, und auch mit Astronomie hat er sich eingehend beschäftigt. Philosophie und Geschichte sind ihm vertraute Gebiete und um seine Sprachkenntnisse konnte ihn mancher Gelehrte beneiden. In die Litteratur hat er sich schon frühzeitig durch die „Geschichte der Preußischen Post“ eingeführt. Die später von ihm geschriebenen, in Raumer’s „Historischem Taschenbuch“ und in „Unsere Zeit“ veröffentlichten nationalökonomischen und geschichtlichen Aufsätze, sowie sein kulturgeschichtliches Werk „Das heutige Aegypten“ zeichnen sich ebenso durch reichen Inhalt. wie durch Schönheit der Form aus.

Auf dem Gebiete der Kunst zeigt Dr. v. Stephan, wie uns schon die Ausstattung seiner Wohnungsräume belehrt, einen geläuterten Geschmack. Ueber Kunstverständigkeit läßt sich freilich streiten und es dürfte wohl schwer sein, einem Laien, der sich nicht durch eigenes Schaffen ausgezeichnet, ein hierauf bezügliches Zeugniß auszustellen. Immerhin hat sich aber Dr. v. Stephan ein solches Zeugniß, wenigstens auf mittelbarem Wege, selbst ertheilt, nämlich in den Leistungen der Reichsdruckerei.

Als im Jahre 1877 die damalige von Decker’sche Geheime Ober-Hofbuchdruckerei durch Kauf in das Eigenthum des Reiches überging und bald darauf mit der königlich preußischen Staatsdruckerei vereinigt wurde und man sich die Köpfe zerbrach, welchem Ressort wohl das zu schaffende neue Reichsinstitut einverleibt werden könnte, erschien eine Kaiserliche Kabinetsordre, durch welche der Generalpostmeister mit der Oberleitung des Instituts betraut wurde.

Während bis dahin die von Decker’sche Druckerei ihre Thätigkeit fast ausschließlich auf amtliche und halbamtliche Drucksachen beschränkt hatte und die Staatsdruckerei neben gleichartigen Arbeiten nur durch die Anfertigung von Banknoten und sonstigen Werthzeichen eine Annäherung an die eigentlichen vervielfältigenden Künste bot, machte die nunmehrige Reichsdruckerei gar bald auch in Kunstkreisen von sich reden; denn ebenso, wie auf den andern Gebieten, hatte der Generalpostmeister es auch hier verstanden, die richtigen Leute zu finden und durch seine Ideen und seinen persönlichen Einfluß zu fruchtbringendem Schaffen anzuregen. Wie alle Sachverständigen nicht nur in Deutschland, sondern weit über dessen Grenzen hinaus wissen, leistet die Reichsdruckerei auf dem Gebiete der Vervielfältigung von Kunsterzeugnissen durch Buch-, Kupfer-, Licht-, Steindruck etc. Mustergültiges; namentlich erregen die zum Theil lediglich der Reichsdruckerei eigenartigen heliographischen und heliotypischen Verfahrungsweisen geradezu das Entzücken der kunstverständigen Welt. Wir können aus eigener Anschauung u. A. die Reproduktion seltener Rembrandt’scher und Dürer’scher Stiche hervorheben, deren Originaltreue in der Detailtechnik wie in künstlerischer Wirkung gleich überraschend ist.

Der Erfolg ist denn auch nicht ausgeblieben. Während in den ersten Jahren der Entwickelung der Anstalt unter der neuen Leitung die Privatindustrie in ihr nur einen gefährlichen Mitbewerber witterte, ist sie heute schon auf dem Standpunkte angelangt, die Reichsdruckerei als anregendes Vorbild und praktische Rathgeberin anzusehen und zu benutzen.

Gern verweilt Herr von Stephan bei den Reisen, die ihn durch ganz Europa und einen Theil Afrikas geführt haben und die für ihn nicht nur ein Kräftigungs-, sondern vorzugsweise ein Bildungselement gewesen sind; denn da ist er mit der Natur in unmittelbaren Verkehr getreten und ist ihren Geheimnissen nachgegangen. Alle Wälder und Gebirge Deutschlands hat er, meist zu Fuß, durchstreift, hat die Gletscher der Schweiz und Tirols erstiegen und den Pyrenäen sowie den Karpathen Besuche abgestattet. Da er von früher Jugend an in allen Leibesübungen erfahren, gewandter Turner, tüchtiger Schwimmer ist – hat er doch bereits in seinem vierzehnten Lebensjahre einen Mitschüler vom Tode

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1887). Leipzig: Ernst Keil, 1887, Seite 870. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1887)_870.jpg&oldid=- (Version vom 24.2.2024)