Seite:Die Heimath in der neuen Welt, Dritter Band.djvu/224

aus Wikisource, der freien Quellensammlung
Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
Fredrika Bremer: Die Heimath in der neuen Welt, Dritter Band

bei den Spanierinnen gewöhnlich ausgezeichnet schön sind. Aber der Mangel an Ernst in Allem, außer in der Gefallsucht und eitlem Tand, ist anstößig, zumal an einem Tag wie dieser Nachtmahlstag, dieser Tag stiller, prunkloser, feierlicher Einweihung zu dem höchsten und heiligsten Leben der Menschheit. Ich erinnerte mich eines grünen Donnerstags in der St. Jakobskirche in Stockholm; es war da ein sogenanntes Privatnachtmahl. Die Familien kamen, Väter, Mütter und Kinder, um zusammen aus dem Kelch zu trinken. Ich erinnere mich noch der Schweigsamkeit, der stillen, tiefen Andacht in der vollgedrängten Kirche.

Auf Cuba ist unter den Fremden verschiedener Nationen, die hier ansäßig sind, nur eine einzige Stimme über den gänzlichen Mangel an Religionsleben auf der Insel. Die Priester leben in offenbarem Widerspruch mit ihren Gelübden, genießen keine Achtung und verdienen größtentheils auch keine. Das sittliche Leben steht nicht höher als das Religionsleben.

„Es gibt Liebe und Leidenschaft genug auf Cuba,“ sagte ein denkender junger Mann, der hier ansäßig ist, zu mir, „aber öfter auf dem Wege des Lasters, als auf dem Pfade der Tugend.“ Der Gott des Geldes wird blind verehrt. Aeußerst selten kommt eine Ehe zu Stande, wobei er nicht vor allen Dingen um Rath gefragt würde. Die Frauenzimmer, die sich nicht verheirathen, bleiben selten tadellos in ihrem Wandel. Eine meiner älteren Freundinnen in Havannah kannte da bloß eine einzige tugendhafte unverheirathete ältere Dame. Unter den Männern dürfte man nicht Einen finden.

Der Mensch kommt zu der schönen Insel wie ein Schmarotzer, der bloß das Leben ihrer Natur aussaugen und auf ihre Kosten prassen will; die Natur rächt sich, schlingt sich mit hundert Armen um den Menschen,

Empfohlene Zitierweise:
Fredrika Bremer: Die Heimath in der neuen Welt, Dritter Band. Franckh, Stuttgart 1854, Seite 206. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Heimath_in_der_neuen_Welt,_Dritter_Band.djvu/224&oldid=- (Version vom 15.9.2022)