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Gottfried Keller: Die Leute von Seldwyla, 2. vermehrte Auflage

noch eine alte Chronik durchstöbern, dort gibt’s so alte Stammbäume mit ganz merkwürdigen Taufnamen!“

John begab sich endlich auf sein Zimmer und setzte sich in jene Ecke; die Blechkapsel mit der Erziehungsdenkschrift hatte er noch umhängen und er hielt sie unbewußt zwischen den Knieen. Er sah die Sachlage ein, er verwünschte die böse Frau, welche ihm diesen Streich gespielt und einen Erben untergeschoben; er verwünschte den Alten, der da glaubte, er hätte einen rechtmäßigen Sohn; nur sich selbst verwünschte er nicht, der doch der wirkliche und alleinige Urheber des kleinen Schreiers war und sich so selbst enterbt hatte. Er zappelte in einem unzerreißlichen Netze, rannte aber wieder nach dem Alten, um ihm thörichter Weise die Augen zu öffnen.

„Glauben Sie denn wirklich, sagte er mit gedämpfter Stimme zu ihm, daß das Kind das Ihrige sei?“

„Wie, was?“ sagte Herr Litumlei und sah von seiner Chronik auf.

John fuhr fort, in abgebrochenen Redensarten ihm zu verstehen zu geben, daß er selbst ja nie im Stande gewesen sei, Vater zu werden, daß seine Frau wahrscheinlich sich eine Untreue habe zu Schulden kommen lassen u. s. f.

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Gottfried Keller: Die Leute von Seldwyla, 2. vermehrte Auflage. Göschen, Stuttgart 1874, Seite 131. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Leute_von_Seldwyla_3-4.pdf/139&oldid=- (Version vom 31.7.2018)