Gottfried Keller: Die Leute von Seldwyla, 2. vermehrte Auflage | |
|
und auf dem Kopf ein Gewächs wie ein Hühnerei, welches Küngolt als Kind schon gefürchtet hatte, wenn sie in die Schule und an seiner Werkstatt vorbei gegangen. Als daher Dietegen fragte, ob sie zu diesem wolle, sagte sie wiederum nein, und er zog keifend davon.
Nunmehr trat ein Geldwechsler hervor, der einerseits wegen seines wucherischen und häßlichen Geizes und anderseits wegen seiner widerwärtigen Lüsternheit verrufen war. Kaum hatte der aber seine rothen Augen auf Küngolt gerichtet und den schiefen Mund zum Angebote geöffnet, so winkte ihm Dietegen, ihn drohend anblickend, mit der Hand hinweg, ohne das erschrockene Mädchen zu befragen.
Jetzt kamen nur noch einige ordentliche Leute, gegen welche nicht wohl etwas einzuwenden war, und diese wurden nun zur eigentlichen Versteigerung oder Gant zugelassen. Am mindesten forderte für ihre Aufnahme und Ernährung der Todtengräber an der Stadtkirche, ein stiller, ehrbarer Mann, welcher eine brave Frau und auch, nach seiner Meinung, ein geeignetes Lokal besaß und schon einige Sträflinge dieser Art beherbergt hatte.
Diesem wurde Küngolt von der Rathsabordnung zugeschlagen und sofort in sein Haus geführt, das zwischen dem Kirchhof und einer Seitengasse gelegen
Gottfried Keller: Die Leute von Seldwyla, 2. vermehrte Auflage. Göschen, Stuttgart 1874, Seite 73. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Leute_von_Seldwyla_3-4.pdf/349&oldid=- (Version vom 31.7.2018)