Gottfried Keller: Die Leute von Seldwyla, 2. vermehrte Auflage | |
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Rede war und dem es nicht an Keckheit mangelte, verwandelte sich, wie alles in der Welt.
Gerade durch die wachsende Ausbreitung und Macht der freien Richtung wurde die Lust zur festeren Vereinigung und Gestaltung und der Wunsch nach der Herrschaft genährt, was zugleich ein deutlicheres Aussprechen dessen mit sich brachte, was man eigentlich bekannte und meinte.
Nun war aber gerade wieder die Zeit, wo die Physiker eine Reihe merkwürdiger Erfahrungen und Entdeckungen machten und die Neigung, das Sehen mit dem Begreifen zu verwechseln, überhand nahm und naturgemäß vom Stückweisen auf das Ganze geschlossen wurde, öfter aber nur da nicht, wo es am nöthigsten war.
Auch verbreiteten neue Philosophen, welche ihre Stichwörter wie alte Hüte von einem Nagel zum andern hingen, böse verwegene Redensarten, und es geschah ein großer Zwang in nachgesagten Meinungen und Sprüchen.
Wer nun unter den Priestern ruhiger und bescheiden war, dachte, es komme auf ein gewisses Maß des Mehr oder Weniger in der Unklarheit nicht gerade an, und verhielt sich klüglicher Weise friedlich auf dem gewonnenen Standort, streitbar nur gegen die alten Feinde und Unterdrücker. Andere dagegen wollten
Gottfried Keller: Die Leute von Seldwyla, 2. vermehrte Auflage. Göschen, Stuttgart 1874, Seite 167. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Leute_von_Seldwyla_3-4.pdf/443&oldid=- (Version vom 31.7.2018)