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Walther Kabel: Die Unglücksfahrt des „Neptun“ (Bibliothek der Unterhaltung und des Wissens, Band 2)

mit Revolvern und Fackeln, auf den Weg. Eine bange Viertelstunde verging für die Zurückbleibenden. Dann ertönten Schüsse, wildes Geschrei, und bald kletterten zwei der Wärter schreckensbleich durch das Loch im Fußboden in die Kajüte zurück. Den dritten hatte der Tiger in dem Gange zu der Kombüse angesprungen und zerrissen. Demnach beherrschten die Bestien nicht nur das Verdeck, sondern auch das Innere des Vorschiffes, wohin sie nur durch die sicherlich mitzertrümmerte Vorderluke eingedrungen sein konnten.

Wieder verging ein Tag. Da machte sich in der Nacht zum fünften plötzlich Brandgeruch bemerkbar, und schon am Morgen des sechsten Tages sah die Besatzung über dem Vorderdeck feine Rauchwolken aufsteigen. Die Fackel des von dem Tiger getöteten Wärters, die man nicht mehr hatte aufnehmen können, hatte den Dampfer in Brand gesetzt.

Am Mittag dieses sechsten Tages war die Rauchentwicklung bereits so stark, daß die frei umherschweifenden Raubtiere sich auf das Hinterdeck zurückzogen, wo die Luft noch frei von Rauchschwaden war. Die vor Hunger und Durst bereits halbtote Besatzung begann nun eine wilde Schießerei auf die gefährlichen Katzen, jedoch wieder ohne nennenswerten Erfolg, da die Revolver eine zu geringe Durchschlagskraft und Treffsicherheit besaßen. Nur das eine erreichte man mit der Zeit, daß sich die Raubtiere von dem Schiffe auf den Eisberg flüchteten, wobei sie den hinteren Mast, der schräg über Bord gefallen war, als Brücke benützten. Trotzdem wagten die Leute sich erst am Morgen des siebenten Tages aus ihrem Gefängnis heraus.

Inzwischen hatte das Feuer bereits so weit um sich gegriffen, daß das Vorschiff in hellen Flammen stand. Das Geheul der in den Käfigen noch eingeschlossenen Tiere, die nun elend verbrennen mussten, war entsetzlich. Aber niemand vermochte ihnen Rettung zu bringen, befand sich die Besatzung doch in fast ebenso furchtbarer Lage. Auf dem „Neptun“ drohte ihr der Flammentod, auf dem Eisberg das Verderben durch die Raubtiere, die sich ständig in der Nähe des Schiffes aufhielten.

Da, gegen Mittag, wurde am westlichen Horizont der Rumpf

Empfohlene Zitierweise:
Walther Kabel: Die Unglücksfahrt des „Neptun“ (Bibliothek der Unterhaltung und des Wissens, Band 2). Union Deutsche Verlagsgesellschaft, Stuttgart, Berlin, Leipzig 1914, Seite 214. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Ungl%C3%BCcksfahrt_des_Neptun.pdf/6&oldid=- (Version vom 31.7.2018)