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mich stets ganz kalt gelassen hat, und daß ich auch wieder bei meinem letzten Besuche Münchens, beim besten Willen, nicht im Stande war, mich dafür zu erwärmen. Entweder bin ich vor den Kopf geschlagen, oder Herr Passavant hat sich gründlich getäuscht. Ich kann nicht anders, ich muß das Bild für übermalt erklären. Diese violett-rothe Fleischfarbe, auf der man keinen Pinselstrich gewahr wird, so geleckt sieht sie aus, dieser grüne Hintergrund, diese undurchsichtigen, schwarzen Schatten, gehören – ich zweifle nicht daran – einem spätern Maler an. Auch fällt es mir auf, daß gar keine Risse und Sprünge im Gemälde wahrzunehmen sind. Ich kann darum nur wünschen, man möchte dieses weltberühmte Porträt dem von Pettenkoffer’schen Ressurrectionsverfahren unterwerfen. Dieser Raffael könnte dabei nicht verlieren.

Doch ich fürchte, meine Leser sind den beständigen Widerspruch gegen Herrn Prof. Marggraff längst müde, und ich gestehe selbst, daß die Lösung einer solchen Aufgabe mir keine erfreuliche war. Sollten aber dem in seinem Vaterlande so hochgefeierten Manne diese meine kritischen Studien in die Hände fallen, so wäre es mir wahrlich sehr leid, wenn er sich durch mein Widersprechen etwa beleidigt fühlen sollte. Ich kenne den gelehrten Herrn zwar nicht persönlich, weiß aber wohl, in wie hohem Ansehen er bei der Regierung seines Landes steht, und so kann ich ihm zum Trost über diese Aeußerungen meines Widerspruchsgeistes nur die Versicherung geben, daß ich selbst diesen meinen Urtheilen und Berichtigungen kein größeres Gewicht beilegen will, als daß ich sie für Studien, für nichts mehr als Studien erkläre, welche überdies gar nicht gelehrten, ihrer Sache schon vollkommen sichern Kunstkritikern gewidmet sind, sondern die nur deßhalb veröffentlicht worden sind, damit meine jungen Landsleute aus dem Tatarenlande, die etwa auch dergleichen Studien obliegen, neben den vielen deutschen, englischen, französischen und italienischen auch einen russischen Leitfaden

Empfohlene Zitierweise:
Giovanni Morelli (Pseudonym Ivan Lermolieff): Die Werke italienischer Meister in den Galerien von München, Dresden und Berlin. Verlag von E. A. Seemann, Leipzig 1880, Seite 99. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Werke_italienischer_Meister_(Morelli).pdf/118&oldid=- (Version vom 31.7.2018)