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Schon in seinem berühmten „David“ finden wir diese Stimmung seines Gemüthes ausgesprochen; mit den Jahren nahm dieselbe immer zu und fand zumal nach dem Falle der Republik Florenz ihren stärksten Ausdruck in seinen bekannten Versen auf die Statue der Nacht:

Grato m’ è il sonno e più l’esser di sasso;
Mentre che il danno[a 1] e la vergogna dura,
Non veder, non sentir m’ è gran ventura;
Però non mi destar; deh, parla basso[1].

Unmuthig zog er sich frühe schon von der Welt zurück, um ausschließlich seiner Kunst zu leben. Gleich Correggio war er im Grunde ein einfaches, reines Gemüth[2].

Antonio Allegri dagegen, der Sohn einer bescheidenen, friedfertigen Bürgerfamilie, wuchs in kleinlichen Verhältnissen auf, und außer der Liebe zu seiner Kunst mag sein Gemüth schwerlich anhaltend und tiefer von andern Affekten berührt worden sein. Wenn Michelangelo einsam mitten im Gewühle und Gedränge und den Leidenschaften einer Weltstadt, wie Rom war, seiner Kunst nachging, so verlebte Correggio seine Tage einsam in einer kleinen Provincialstadt mitten unter Benediktinermönchen. Wie diesem von der Natur beschieden war, die Anmuth der Seele auszudrücken, im Scherze wie im Leide, im Rausche der sinnlichen Freude, wie in der Extase der göttlichen Liebe, so war Michelangelo von seinem hochsinnigen, edeln Geiste hauptsächlich darauf geleitet, Ernst und Würde, Gewalt und Stärke, den edeln Stolz eines freien Gemüthes, die


  1. Siehe Vasari: 12, 208. – Ausgabe Le Monnier.
  2. Man lese seinen Brief an Vasari, womit er diesem den Tod seines getreuen Dieners Urbino meldet. Man lese ferner den Brief an einen seiner Brüder, welcher Lust bezeigt hatte, ihm in Bologna einen Besuch zu machen: Son qua, schreibt Michelangelo nach Hause, in una cattiva stanza e ho comperato un letto solo nel quale stiamo quattro persone[a 2], e non avrei il modo raccettarlo come si richiede.

Druckfehlerverzeichnis

  1. Vorlage: dauno
  2. Vorlage: pesone
Empfohlene Zitierweise:
Giovanni Morelli (Pseudonym Ivan Lermolieff): Die Werke italienischer Meister in den Galerien von München, Dresden und Berlin. Verlag von E. A. Seemann, Leipzig 1880, Seite 150. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Werke_italienischer_Meister_(Morelli).pdf/169&oldid=- (Version vom 31.7.2018)