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feine, aber auch etwas kränklich aufgeregte Natur. Dagegen fehlt in seinen späten Werken, wie z. B. den großen Kirchenbildern, die Frische der Empfindung; sie sind etwas conventionell, aber gerade von diesen seinen conventionellen Werken hat man allgemein den Begriff seiner Kunst abstrahirt[1]. In den Darstellungen aus der griechischen Mythologie dagegen ist er in seinem wahren Elemente. Niemand hat je, wie Correggio, die Sinnlichkeit so durchgeistigt, so naiv, so rein dargestellt.

Unter allen Bildern des Correggio der Dresdner Galerie ist die Madonna mit dem h. Franciscus zum Glücke das am leidlichsten erhaltene. In keinem Jugendwerke anderer Künstler, den David des Michelangelo ausgenommen, kann man eine so scharf ausgesprochene Individualität wahrnehmen, wie in diesem an Empfindung wie an Gedanken so reichen Gemälde. Die andern drei großen Kirchenbilder des Antonio Allegri, No. 152, 154 und 155 sind, besonders das erste und das letzte, so arg mißhandelt und übermalt, daß sie uns wenig Freude noch machen können. Ich bewundere in der That jene Kunstfreunde, welche das Corregio’sche Helldunkel in denselben noch in Entzücken versetzen kann. Diese drei Gemälde gehören in die Jahre 1524 bis 1530.

Neben den vier weltbekannten Bildern des Antonio Allegri weist der Katalog noch zwei andere auf, No. 156 und 153. Das erstere derselben, No. 156, ist ein männliches Porträt und trägt den kuriosen Namen „Arzt des Correggio“, welcher höchst wahrscheinlich erst im 18. Jahrhunderte ihm mag angehängt worden sein. Es ist ein arg zugerichtetes Gemälde und in seinem gegenwärtigen Zustande


  1. Das Axiom, daß jedes Gewordene nur durch sein Werden erkannt werden kann, findet auch auf die Kunstwissenschaft seine volle Anwendung. Wer einem Maler z. B. nicht in seiner Entwicklung, in seinen Jugendwerken nachgegangen ist, der bilde sich ja nicht ein, das Wesen desselben erfaßt zu haben.
Empfohlene Zitierweise:
Giovanni Morelli (Pseudonym Ivan Lermolieff): Die Werke italienischer Meister in den Galerien von München, Dresden und Berlin. Verlag von E. A. Seemann, Leipzig 1880, Seite 152. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Werke_italienischer_Meister_(Morelli).pdf/171&oldid=- (Version vom 31.7.2018)