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(No. 26a) gemalt hat. In dieser bewegten, höchst dramatischen Darstellung erkenne ich ganz den geistreichen, eminenten, zuweilen jedoch gar zu excentrischen „Sandro“ mit allen seinen Vorzügen, aber auch mit seinen Gebrechen. Dieses treffliche Tafelbild gehört ungefähr derselben Epoche des Meisters an, in der auch der liebenswürdige kleine h. Hieronymus der Uffizigalerie, N. 1179 (daselbst thörichterweise noch immer dem Fra Filippo zugetheilt) entstanden sein mag. Solcher dramatischer Szenen aus der christlichen Mythologie hat Botticelli mehrere zur Darstellung gebracht. So in einigen Täfelchen die Geschichte der Esther. Diese Bildchen befanden sich vor Jahren unter dem falschen Namen des Filippino Lippi im Hause Torreggiani zu Florenz, von wo sie nach Frankreich verschachert wurden; durch die Restauration sind sie sehr hart mitgenommen worden. Auch die herrliche Darstellung „la calunnia d’Apelle“ der Uffizigalerie, No. 1288, gehört in die Kategorie solcher dramatischer Bilder des Sandro, und ebenso die vorzügliche Darstellung in sechs Akten, des Todes der römischen Virginia, bei Herrn Giovanni Morelli in Mailand. In allen diesen dem feurigen, dramatischen Geiste des Botticelli ganz entsprechenden Darstellungen wird man mit dem Meister viel besser vertraut, als in seinen Madonnenbildern. Ich kann daher nicht begreifen, wie die Direktion der Dresdner Galerie dies köstliche Bild des Botticelli in das zweite Stockwerk hat verbannen können, statt es unten neben die Werke des Lorenzo di Credi aufzuhängen an Stelle der nichtssagenden Bilder unter dem Namen des Lippi, Raffaellino del Garbo u. a., die dort Ehrenplätze behaupten. Allerdings – de gustibus non est disputandum.

Dem Alessandro Botticelli gehört ebenfalls das „Temperabild“[1] mit der Maria, dem Kinde und dem kleinen Johannes; seiner Schule, und nicht ihm selbst muß dagegen


  1. Sogenannte Oelbilder von Botticelli sind mir durchaus unbekannt.
Empfohlene Zitierweise:
Giovanni Morelli (Pseudonym Ivan Lermolieff): Die Werke italienischer Meister in den Galerien von München, Dresden und Berlin. Verlag von E. A. Seemann, Leipzig 1880, Seite 234. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Werke_italienischer_Meister_(Morelli).pdf/253&oldid=- (Version vom 31.7.2018)