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Santi u. s. f. In den Galerien von Wien und Dresden ist dagegen die Kunst des 15. Jahrhunderts fast gar nicht vertreten; diese Sammlungen sind nur reich an Gemälden des 16. und 17. Jahrhunderts, Bildwerke, welche allerdings auf die Sinne einen weit größern Reiz ausüben, als die der trockenen, ehrlichen, effektlosen, aber stets redlich vorwärtsstrebenden Quattrocentisten[1]. Wer aber in den Kern der Kunst einzudringen wünscht, wer von derselben einen tiefern geistigen Genuß sich verschaffen will, dem rathe ich vor allem den Besuch der Berliner Galerie an. Hat er diese kostbare Sammlung eingehend kennen gelernt und mit ihren Schätzen sich vertraut gemacht, dann mag er, aber nur dann, den unaussprechlichen Genuß sich gönnen, den ihm die Galerie von Dresden bieten wird, und an der Elbe, in den Sälen jenes der Musen wahrhaft würdigen Tempels, wird er erst den besonderen Werth dieser Berliner Sammlung zu erkennen und ganz zu messen im Stande sein[2].

Gleich beim Eintritt in das Innere des Schinkel’schen Prachtbaues werden wir im Vorsaale der Gemäldegalerie durch den feierlichen Empfang, den uns mehrere der liebenswürdigsten, edelsten Künstler unter den italienischen Quattrocentisten bereiten, hoch und wonnig gestimmt. Zur Rechten stehen uns Ghirlandajo, Sandro Botticelli, Filippino Lippi, zur Linken schauen uns der zwar etwas mürrische, aber stets biedere Cosimo Tura und sein geistvoller Schüler Lorenzo Costa entgegen. Wir haben hier die Repräsentanten zweier der kunstbegabtesten Volksstämme der Halbinsel, der Florentiner und der Ferraresen,


  1. In diesen letztern Jahren hat die Direktion der Dresdner Galerie in dieser Beziehung manche Lücke rühmlichst auszufüllen gesucht durch die Acquisitionen der Bilder eines Mantegna, Antonello da Messina, Signorelli, Lorenzo di Credi, Cavazzola u. a. m.
  2. Um Mißverständnissen vorzubeugen, muß ich vor allem erklären, daß bei meinem Besuche der Berliner Galerie, durch den Umbau mehrerer Säle derselben, gar viele italienische Bilder unsichtbar waren.
Empfohlene Zitierweise:
Giovanni Morelli (Pseudonym Ivan Lermolieff): Die Werke italienischer Meister in den Galerien von München, Dresden und Berlin. Verlag von E. A. Seemann, Leipzig 1880, Seite 271. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Werke_italienischer_Meister_(Morelli).pdf/290&oldid=- (Version vom 31.7.2018)