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vor uns. Diese Völkerschaften sind zwar nur durch den Po und den Apennin von einander geschieden, und doch sind sie von so ganz verschiedener Physiognomie. Wollten wir diesen Florentinern und Ferraresen sei es einen Dürer, Cranach oder Burkmayr, sei es einen van der Weyden, Memling oder Quintin Messys gegenüber stellen, so träte allerdings in diesen Italienern der Lokalcharakter sogleich wieder in den Hintergrund, während der allgemeine Nationalcharakter ihres Vaterlandes aus ihren Zügen überwältigend hervorleuchten würde. Ist dies nicht auch eine Bestätigung des Satzes, daß die äußere sichtbare Form vom Geiste, der sie belebt, und daß dieser wiederum theils von der Mischung des Blutes, theils auch von der äußern Natur, in welcher der Mensch aufwächst und lebt, bedingt sind?

Meine Studien in der Berliner Galerie beginne ich mit den Werken der ferraresisch-bolognesischen Malerschule.

Hat auch Berlin nicht wie Dresden das Glück, Werke des seltenen Ercole Grandi di Roberto oder des Francesco Cossa zu besitzen, so kann es sich dagegen rühmen, nicht nur das bedeutendste Bild des Altmeisters dieser Schule, Cosimo Tura, sondern auch Werke seiner hervorragendsten Schüler, wie Lorenzo Costa, Domenico Panetti und sogar, wenn ich mich nicht täusche, ein Bild des wenig bekannten Francesco Bianchi dem lernbegierigen Kunstfreunde vorstellen zu können, also fast die ganze namhafte künstlerische Nachkommenschaft des Tura.

Es war eine Eigenthümlichkeit der alten Ferraresen, die sie übrigens mit einigen Zeitgenossen aus der Schule des Squarcione, wie z. B. mit dem großen Mantegna[1], gemein hatten, den Thron der Madonna auf ihren Bildern reichlich mit Reliefs auszuschmücken; ein Gebrauch, der durch den Francesco Bianchi bis auf den Correggio gelangte und mit den Werken aus der Frühzeit dieses


  1. Siehe sein herrliches Bild in der Kirche des h. Zeno in Verona.
Empfohlene Zitierweise:
Giovanni Morelli (Pseudonym Ivan Lermolieff): Die Werke italienischer Meister in den Galerien von München, Dresden und Berlin. Verlag von E. A. Seemann, Leipzig 1880, Seite 272. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Werke_italienischer_Meister_(Morelli).pdf/291&oldid=- (Version vom 31.7.2018)