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Zudem finden wir schon hier an dem gebogenen Zeigefinger des h. Christoph eine beim Pinturicchio später conventionell gewordene Bewegung. – Nach der Rückkunft des Perugino von Florenz, um 1470, wurde Pinturicchio allerdings auch von diesem Meister stark beeinflußt[1], so daß in einer gewissen Epoche Werke des Letztern dem Erstern zugeschrieben wurden.

In dem trefflichen, für den Meister höchstcharakteristischen Reliquiarium (132a) besitzt die Berliner Galerie ebenfalls ein Werk aus der Frühzeit des Meisters, von ihm wahrscheinlich, ehe er nach Rom kam, gemalt. Auch das reizende Altarbild im Dome von Sanseverino (Maria mit dem Kinde zwischen zwei Engeln und dem Donator), von dem uns die Historiographen der italienischen Malerei ein Facsimile in ihrem Werke zum besten geben (III, 272), möchte ungefähr in diese frühe Epoche Pinturicchio’s zu setzen sein.

Im Jahre 1479, also in seinem fünfundzwanzigsten Jahre, kam Bernardino zum ersten Male in die ewige Stadt und scheint dort sogleich vom Cardinal della Rovere Aufträge erhalten zu haben (Vasari V, 268). Einige Jahre später, um 1483, schmückte Pinturicchio, ebenfalls im Auftrage des della Rovere, die erste Kapelle rechts in S. Maria del Popolo in Rom mit Wandmalereien aus; und wohl nicht viele Jahre später dürften seine schönen, geist- und lebensvollen Fresken in der Bufalinikapelle in der Kirche von Ara coeli von ihm ausgeführt worden sein[2]. Auch in diesen Gemälden erinnert noch manches an Fiorenzo (z. B. die Einkleidung des h. Bernardinus), anderes wieder


  1. Jenen bauschigen, statuarisch-schwerfälligen Faltenwurf, den wir z. B. an der Gruppe des Verrocchio „Thomas und Christus“ in Orsanmicchele zu Florenz wahrnehmen, scheint Perugino von Florenz nach Perugia, um 1470 etwa, mitgebracht und unter andern auch seinem Schülern Pinturicchio übermacht zu haben.
  2. Die Herren Cr. und Cav. scheinen dieses Werk des Pinturicchio etwa ins Jahr 1496 zu setzen, III, 267.
Empfohlene Zitierweise:
Giovanni Morelli (Pseudonym Ivan Lermolieff): Die Werke italienischer Meister in den Galerien von München, Dresden und Berlin. Verlag von E. A. Seemann, Leipzig 1880, Seite 303. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Werke_italienischer_Meister_(Morelli).pdf/322&oldid=- (Version vom 31.7.2018)