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Im Jahre 1497 muß Pietro sich längere Zeit in Fano aufgehalten haben; das große Altarbild für den Altar der Familie Duranti in der Kirche S. Maria nuova daselbst führte er vielleicht an Ort und Stelle aus.

Im folgenden Jahre treffen wir Meister Pietro wieder in Perugia an, beschäftigt, für die Kapelle der Brüderschaft des h. Pietro Martire in der Kirche von S. Domenico das Madonnenbild mit den sechs knieenden Brüdern zu malen (jetzt in der städtischen Galerie von Perugia).

Gegen Ende des Jahres 1499 und Anfang des Jahres 1500 endlich fertigte Pietro Perugino das große Tafelbild für die Kirche von Vallombrosa (gegenwärtig in der florentinischen Akademie). Dieses leider durch Verputzung etwas verdorbene schöne Bild stellt die „Verklärung Mariae nebst vier stehenden Heiligen“ dar und ist mit dem Namen des Meisters und dem Jahre 1500 bezeichnet. Bei jener Gelegenheit mag Perugino auch die zwei Mönchsbildnisse gemalt haben, von denen das eine den Don Blasio Milanese, General des Ordens von Vallombrosa, das andere den Abt von Vallombrosa, Don Balthasar, darstellt (ebenfalls in der florentinischen Akademie). Von mehreren Kunstforschern, selbst von Passavant, werden auch diese zwei schönen Porträts dem jugendlichen Raffael zugemuthet.

Bei so einem Wanderleben dürfte es dem Perugino in jener Epoche seiner Wirksamkeit unmöglich gewesen sein, einem zwölfjährigen Knaben, wie damals Raffael war, einen geordneten, intensiven Unterricht, dessen ein so junger Lehrling doch bedurfte, zu ertheilen.

Schon Baron von Rumohr, geleitet von seinem sehr feinen Kunstsinne, sprach daher die Vermuthung aus, der junge Raffael möchte etwa erst um’s Jahr 1500 in die Werkstätte des Pietro Perugino eingetreten sein[1]. Nun


  1. „Die unbestimmten, ich möchte sagen, leichtsinnigen Angaben des Vasari werden demnach die Möglichkeit nicht ausschliessen, dass Raffael, ehe er als Gehülfe dem Perugino sich angeschlossen, eine gewisse Zeit mit dem Andrea di Luigi, als Schüler oder als Geselle, gearbeitet habe.“ (Ital. Forschungen, III, 31). Was den Baron Rumohr nöthigte, zum Ingegno als Lehrer des jungen Raffael seine Zuflucht zu nehmen, war das Vorurtheil, daß Raffael schon im Jahre 1495 Urbino verlassen habe und nach Perugia gekommen sei. Der s. g. Ingegno war ja überdies eines seiner Steckenpferde.
Empfohlene Zitierweise:
Giovanni Morelli (Pseudonym Ivan Lermolieff): Die Werke italienischer Meister in den Galerien von München, Dresden und Berlin. Verlag von E. A. Seemann, Leipzig 1880, Seite 330. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Werke_italienischer_Meister_(Morelli).pdf/349&oldid=- (Version vom 31.7.2018)