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Von dieser Erzählung des Vasari ist nur wahr die „assai vaga maniera“ des jungen Timoteo Viti, e assai simile a quella, die einige Jahre später auch dessen jüngerer Landsmann Raffael entfaltete. Ist dies nicht der schlagendste Beweis dafür, daß erstens dem Aretiner die künstlerische Entwicklung Raffael’s nur sehr oberflächlich bekannt war, und daß er zweitens gar oft, wie auch in diesem Falle, von irgend einem Vorurtheile geblendet, den Weg der geschichtlichen Wahrheit verließ, um im Gestrüppe der Vermuthungen sich zu verlieren? Offenbar war es sein Vorurtheil, Raffael müsse der Lehrer des Timoteo gewesen sein, während allein schon die Chronologie, hätte er derselben auch nur eine oberflächliche Aufmerksamkeit geschenkt, ihn eines Bessern belehrt haben würde.

Dem Vasari sind sodann alle s. g. Kunsthistoriker, wie das ja wohl natürlich ist, gefolgt und haben bis heutigen Tags den Timoteo Viti als einen Schüler und Nachahmer Raffael’s angesehen und dargestellt. Doch hören wir den Aretiner weiter über Timoteo: „Die Jugendwerke des Timoteo machten denselben in kurzer Zeit so berühmt, daß Raffaello ihn nach Rom kommen ließ, woselbst Timoteo in einem Jahre so reichen Gewinn nicht nur für seine Kunst, sondern auch für seinen Beutel machte, daß er eine schöne Summe Geld nach Hause zu schicken im Stande war. Er malte mit seinem Meister in der Kirche della Pace die Sibyllen „di sua mano ed invenzione“[1] Im „Leben Raffael’s“ dagegen sagt derselbe Vasari „figurò (Raffael) in questa pittura alcuni profeti e sibille, che, nel vero, delle sue cose è tenuta la migliore e fra le tante belle billissima“ u. s. f., e questa opera lo fece stimar


  1. Vasari VIII, 150 und 151.
Empfohlene Zitierweise:
Giovanni Morelli (Pseudonym Ivan Lermolieff): Die Werke italienischer Meister in den Galerien von München, Dresden und Berlin. Verlag von E. A. Seemann, Leipzig 1880, Seite 332. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Werke_italienischer_Meister_(Morelli).pdf/351&oldid=- (Version vom 31.7.2018)