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dürfte. Gebe ich demnach sehr gern den Herren Verfassern des Katalogs zu, daß die Färbung in diesem Bilde an die „Krönung der Maria“ des Piero Pollajuolo in der Collegiata von S. Gimignano erinnere, so kann ich andrerseits ihre Meinung nicht theilen, daß nämlich der Typus und die Haltung der Maria ebenfalls an jenes bezeichnete Bild des Piero gemahnen. – War es mir unmöglich, bei der Bestimmung des Bildes No. 73 vollkommen die Ansichten der Herren Meyer und Bode zu den meinigen zu machen, so ist es mir auch beim besten Willen nicht möglich, ihnen in der Attribution der mit No. 104a und 108 in der Berliner Galerie und jener mit No. 296 in der Nationalgalerie zu London und No. 8 im Städel’schen Institut zu Frankfurt bezeichneten Bilder zu folgen.

Die zwei eminenten Kunstforscher in Berlin glauben nämlich die Maria mit dem Kinde (No. 104a) dem Andrea del Verrocchio selbst, das andere Madonnenbild (No. 108) ebendaselbst, sowie die genannten Bilder in der Nationalgalerie und im Städel’schen Institut bloß der Schule des Verrocchio zuschreiben zu dürfen.

Vergleiche ich nun alle diese vier Bilder mit einander, so scheint es mir doch, daß sie alle aus der Werkstatt desselben Meisters hervorgegangen sind[1]. In allen vier


  1. Ich mache dabei auf folgende charakteristische Merkmale aufmerksam: das Ohr oben faunartig zugespitzt wie dasjenige des knieenden Heiligen mit dem Bischofsstab auf dem Bilde des Piero Pollajuolo in S. Gimignano; die Nägel scharf abgeschnitten und mit schwarzem Umrisse, wie in der „Prudenza“ (No. 1306) in der Uffizigalerie, im „Martyrium des h. Sebastianus“ zu London, im „Tobias mit dem Engel“ in Turin; der Daumen convulsivisch rückwärts gekrümmt, wie beim h. Antonius im Bilde von S. Gimignano; die länglichen, denen des Correggio ähnlichen Bruchfalten wie auf dem Mantel des Engels in der Nationalgalerie zu London (No. 781) (welches Bild augenscheinlich wenn nicht demselben Meister, doch demselben Atelier angehört, aus dem No. 296 ebendaselbst hervorgegangen ist) und wie in der „Krönung der Maria“ des Piero Pollajuolo in S. Gimignano. Alle diese Züge scheinen mir doch viel mehr für das Atelier des Piero del Pollajuolo als für jenes des Verrocchio zu sprechen. Noch will ich bemerken, daß sowohl auf dem Bilde der Turiner Galerie wie auf jenem in der Nationalgalerie (No. 781) und auch auf einem kleinern Bilde, das ebenfalls wie die vorigen den Engel mit Tobias darstellt, in der Sammlung des Herrn Giovanni Morelli in Mailand, das nämliche weiße Bologneserhündchen (wahrscheinlich der Hausgefährte der Gebrüder Pollajuolo) sich vorfindet. Was den Kopfputz all dieser Madonnen betrifft, so stimmt derselbe ebensowohl mit dem einiger Madonnen des Alesso Baldovinetti und anderer gleichzeitiger Künstler von Florenz, als mit demjenigen der Terracottamadonnen des Verrocchio überein. Meine Leser mögen mir diese detaillirte Auseinandersetzung zu gute halten, ich glaubte dieselbe der Hochachtung schuldig zu sein, die ich für die Herren Direktoren der Berliner Galerie hege, obgleich ich in dieser Frage mit ihnen leider nicht übereinstimmen kann.
Empfohlene Zitierweise:
Giovanni Morelli (Pseudonym Ivan Lermolieff): Die Werke italienischer Meister in den Galerien von München, Dresden und Berlin. Verlag von E. A. Seemann, Leipzig 1880, Seite 391. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Werke_italienischer_Meister_(Morelli).pdf/410&oldid=- (Version vom 31.7.2018)