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angenommen wurde, geboren sein; wir wollen indessen diese nagelneue Theorie vorläufig noch in Quarantaine versetzen[1].

Alles in allem zusammengenommen, ist in meinen Augen Giambellino, wie gesagt, im 15. Jahrhundert der größte Künstler Oberitaliens.

Vittor Pisano war zwar für seine Zeit, d. h. in der ersten Hälfte jenes Jahrhunderts, in gewisser Beziehung eben so bahnbrechend, wie jener in der zweiten es war; man sehe sich sein treffliches Frescobild an, in S. Anastasia in Verona, den h. Georg nach dem Siege über den Drachen darstellend; man betrachte ferner seine höchst interessanten Federzeichnungen im s. g. Zeichnungsbuche des Lionardo da Vinci im Louvre und seine anderen Handzeichnungen in der Ambrosiana zu Mailand; seiner herrlichen Medaillen ganz zu geschweigen. Andrea Mantegna ist energischer, imponirender, gelehrter als Giambellino, auch führt er den Moment des Geschehens mit größerer Evidenz und realistischer Wahrheit uns vor die Augen. Während jedoch sowohl Pisanello als Mantegna eine gewisse Einförmigkeit in Auffassung und Darstellung an den Tag legen, entfaltet dagegen Giovanni Bellino als Künstler die größte Mannigfaltigkeit.

Von seinem dreißigsten Jahre, also von etwa 1456, an bis zu seinen letzten uns bekannten Werken von 1513 und 1514 (S. Giovan Crisostomo in Venedig und Bacchanal beim Herzog von Northumberland) ist er in stetem Wachsen, in einer nie innehaltenden Evolution begriffen, und zwar so, daß Dürer ganz Recht hatte, als er im Jahre 1506 denselben für den „besten“ Maler in Venedig erklärte.


  1. Gentile da Fabbriano, der Lehrer des Jacopo Bellini, war allerdings seit etwa dem Jahre 1430 bis zu seinem Tode, der um 1440 erfolgt sein muß, in Rom. Im Jahre 1425–27 war er jedoch in Orvieto beschäftigt. Auch ist es nicht sehr wahrscheinlich, daß Jacopo Bellino mit Frau und Kindern in der Welt herumgezogen sei. Dem sei jedoch, wie ihm wolle, daran liegt ja gar nichts für die Geschichte der Kunst.
Empfohlene Zitierweise:
Giovanni Morelli (Pseudonym Ivan Lermolieff): Die Werke italienischer Meister in den Galerien von München, Dresden und Berlin. Verlag von E. A. Seemann, Leipzig 1880, Seite 400. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Werke_italienischer_Meister_(Morelli).pdf/419&oldid=- (Version vom 31.7.2018)