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zuweilen, daß Dilettanten den Romanino mit Moretto verwechseln[1].

Die Berliner Galerie besitzt zwei Bilder dieses Meisters, No. 151 und 157. Das erstere, „der todte Christus von den Angehörigen betrauert“, ist ein Werk aus seiner Mittelzeit, nicht sehr korrekt in der Zeichnung, doch voller Bewegung und Leuchtkraft der Farbe; es zierte ehemals die Kirche von S. Faustino in Brescia; das andere, „thronende Maria mit dem Kinde und Heiligen“, gehört der Frühzeit des Meisters an. Dies Bild kam aus S. Francesco in den Besitz des Grafen Teodoro Lecchi. (S. Fenaroli a. a. O. 213). Wo aber der Einfluß des Palma vecchio in diesem Gemälde sichtbar sei, wüßte ich wahrlich nicht zu sagen. (Siehe Cr. und Cav. II, 370). Palma hat sich, soviel mir bekannt, nie im Brescianischen aufgehalten, sondern verweilte fast ununterbrochen in Venedig, und in den Jahren, als Romanino sich im Paduanischen befand (1510–1513), war Palma noch nicht sehr berühmt, hatte auch noch nicht sein herrliches Kolorit ausgebildet. Beide Maler, sowohl Palma als Romanino, strebten nach demselben Ziele, beide hatten sich nämlich Giorgione zum Vorbilde gewählt, und


  1. Ich will hier ein jedermann zugängliches Beispiel anführen. Auf den aus der Kirche der HH. Faustinus und Jovita in die Kirche S. Maria in Lovere, am Lago d’Iseo, gekommenen Orgelflügeln ist auf der Außenseite „die Verkündigung“ von Ferramola gemalt (1518); auf der Innenseite sind die Heiligen Jovita und Faustinus von scherzenden Putten umgeben dargestellt, und es ist dies letztere für jeden Kenner ein höchst charakteristisches Werk des Romanino. Da jedoch die Tradition diese zwei Heilige dem Moretto zuschreibt, so werden dieselben gemeiniglich als Arbeit dieses letztern angesehen und bewundert. Selbst Fenaroli citirt sie als Werk des Moretto (a. a. O. p. 123), die Herren Cr. und Cav. folgen ihrem Brescianischen Führer willig nach (II, 396). Und doch sind bei beiden Meistern die Form der Hand und des Ohres so ganz und gar verschieden – von der Auffassung gar nicht zu reden. Von Romanino besitzt die Sammlung der Ambrosiana in Mailand eine gute Federzeichnung, die „Ehebrecherin vor Christus“ (im dritten Saale aufgestellt).
Empfohlene Zitierweise:
Giovanni Morelli (Pseudonym Ivan Lermolieff): Die Werke italienischer Meister in den Galerien von München, Dresden und Berlin. Verlag von E. A. Seemann, Leipzig 1880, Seite 448. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Werke_italienischer_Meister_(Morelli).pdf/467&oldid=- (Version vom 31.7.2018)