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und den Nummern 1, 4, 40, 41 (Vorstellung im Tempel), 62 (Erziehung der Maria), 67 (Traum des h. Joseph). Dieser Freskencyclus wird zwar, wie schon bemerkt, im Brerakatalog dem B. Luini zugeschrieben; allein die Formen, die Kopftypen, sowie der freiere Pinselzug in denselben deuten vielmehr auf Gaudenzio hin[1].

Eine alte Tradition stellt uns den Ferrari als ein frühreifes Talent dar; nicht nur in Rücksicht hierauf, sondern mehr noch aus gewissen an Macrino d’Alba und an die Oldoni von Vercelli erinnernden Angewöhnungen, an denen Gaudenzio sein ganzes Leben festhielt, erscheint es mir nicht unwahrscheinlich, daß derselbe schon in Vercelli, ehe er nach Mailand kam, den ersten Unterricht in seiner Kunst erhalten habe, jedoch keineswegs von dem sehr schwachmüthigen, gleichalterigen Girolamo Giovenone, wie uns Bordiga und andere seiner Nachtreter glauben machen möchten, sondern wahrscheinlicher von Macrino d’Alba[2]. Gaudenzio muß jedoch in Mailand außer dem Atelier des Scotto und des Luini auch noch jenes des Bramantino besucht haben. Den Einfluß dieses letztern Meisters auf ihn beweisen, scheint mir, seine vier Tafelbildchen (No. 52, 53, 57 und 58) der Turiner Galerie und die von ihm fast sein ganzes Leben durch beibehaltene Angewöhnung, nach Art des Bramantino seine Figuren von unten nach oben zu beleuchten[3].


  1. Die Fresken mögen nach Gaudenzio’s Kartons von einem tüchtigen Gehülfen ausgeführt worden sein.
  2. Den breiten niedern Thronhimmel über seinen Madonnen, den Kopftypus des Apostel Paulus (No. 33 in der Galerie von Turin, vom Jahre 1506) und anderes mehr hat Gaudenzio wohl dem Macrino d’Alba entnommen. Das älteste uns bekannte Bild des Girolamo Giovenone ist vom Jahre 1514 datirt und befindet sich in der Galerie von Turin, No. 43; in seiner spätern Zeit ahmte dann Giovenone augenscheinlich den Gaudenzio Ferrari nach, wie dies in seinem Bilde in der Kirche von Mortara jedem in die Augen fällt (daselbst dem Gaudenzio zugeschrieben).
  3. So besitzt, um hier ein jedermann zugängliches Beispiel anzuführen, die Sammlung der Uffizien in Florenz eine getuschte Handzeichnung aus Gaudenzio’s Mittelzeit (1520–1525), eine Studie zu seinem großen Wandgemälde „die Kreuzigung Christi“ in der bekannten Kapelle in Varallo. Diese Zeichnung wird in Florenz sonderbarerweise dem Giorgione zugeschrieben und ist als solche von Philipot photographirt (No. 1350).
Empfohlene Zitierweise:
Giovanni Morelli (Pseudonym Ivan Lermolieff): Die Werke italienischer Meister in den Galerien von München, Dresden und Berlin. Verlag von E. A. Seemann, Leipzig 1880, Seite 481. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Werke_italienischer_Meister_(Morelli).pdf/500&oldid=- (Version vom 31.7.2018)