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Im Jahre 1508 erhielt der vierundzwanzigjährige Gaudenzio den Auftrag, ein Bild für eine Kirche von Vercelli zu malen. Eine Kopie des Vertrags zu diesem Gemälde findet sich bei Padre Bruzza in Rom. In diesem Dokumente wird Gaudenzio bald Ferrari, bald Vinci genannt. Der letztere Name war nämlich der der Familie seiner Mutter; es ist dies ein Geschlechtsname, der in der Valduggia noch heutigentags besteht. Daraus erklärt sich auch, wie Gaudenzio noch im Jahre 1511 sein herrliches Triptychon in der Kirche von Arona Gaudentius Vincius bezeichnen konnte.

Täusche ich mich nicht, so war es Baldinucci, der zuerst die Fabel in Umlauf brachte, Gaudenzio sei eine Zeit lang in Gemeinschaft Raffael’s, also im Zeitraum zwischen 1500 und 1508, in Perugia bei Perugino in der Lehre gewesen[1]. Es ist dies, wie mir scheint, wieder eine von


  1. Dem Baldinucci sagen es sodann die Peruginer Orsini und Mezzanotte nach. Passavant geht aber noch weiter und bemerkt: Raffael se lia encore vers 1502 avec l’aimable et habile(!) Gaudenzio Ferrari de Valduggia. Leur amitié devint si étroite que Gaudenzio accompagna Rafael à Rome, et, sauf de rares intervalles, il resta son inséparable compagnon.“ So schrieb man Kunstgeschichte noch vor vierzig Jahren. Heutzutage wissen wir wenigstens aus schriftlichen Dokumenten, daß Gaudenzio Ferrari sein Leben lang ausschließlich in der Lombardei, wo auch fast alle seine Werke sich noch vorfinden, zubrachte: in Vercelli, in Mailand, in Turin, in Novara, und in der ganzen Valsesia bis Varallo. Man darf daher, ohne authentische Beweise des Gegentheils beizubringen, nicht annehmen, daß Gaudenzio, sei es in Toscana, sei es in Perugia oder in Rom sich längere Zeit aufgehalten habe. Auch würde man in ganz Mittelitalien vergeblich nach Werken von ihm sich umsehen. Vasari (im Leben des Garofolo) bemerkt: Gaudenzio Ferrari, ein Maler aus dem Mailändischen, der während seines Lebens für einen tüchtigen Meister galt, malte in S. Celso. u. s. w.; doch weder er noch Lomazzo deuten auf sein Verhältniß zu Perugino oder Raffael.
Empfohlene Zitierweise:
Giovanni Morelli (Pseudonym Ivan Lermolieff): Die Werke italienischer Meister in den Galerien von München, Dresden und Berlin. Verlag von E. A. Seemann, Leipzig 1880, Seite 482. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Werke_italienischer_Meister_(Morelli).pdf/501&oldid=- (Version vom 31.7.2018)