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jenen leeren, jedes Haltes entbehrenden Behauptungen, mit denen die Geschichte der italienischen Malerei so reichlich gespickt ist. In den Werken des Ferrari ist der Einfluß sei es des Perugino, sei es Raffael’s nicht mehr und nicht weniger sichtbar als in den Gemälden fast aller großen Meister aus jener glücklichen Kunstepoche, die man das goldne Zeitalter der italienischen Kunst zu nennen pflegt, und in der Gaudenzio und Luini in ihrer Schule, d. h. der mailändischen, denselben Platz einnehmen, den etwa Raffael in der umbrischen, Cavazzola und Carotto in der veronesischen, Garofalo und Dosso in der ferraresischen beanspruchen.

Gaudenzio besitzt zwar nicht die Anmuth des Luini, seine Werke sind auch nicht so vollendet in der Ausführung wie die seines Nebenbuhlers, allein, Alles in Allem genommen, steht er, was Erfindungsgabe, dramatisches Leben, malerisches Talent anbelangt, weit über Luini. Sehr oft verliert Ferrari in seinem Feuereifer das Gleichgewicht und wird barock und affektirt; auch sind viele seiner größern Kompositionen gar zu sehr mit Figuren überfüllt; in seinen besten Werken jedoch steht er nur wenigen seiner Zeitgenossen nach, ja manchmal, wie z. B. in einigen jener Männer- und Frauengruppen in der großen „Kreuzigung Christi“ zu Varallo, dürfte Gaudenzio selbst den Vergleich mit Raffael nicht zu fürchten haben.

Die Handzeichnungen dieses großen, nicht hinlänglich gekannten und gewürdigten Meisters sind meist nach dem System, welches von Vincenzo Foppa in die lombardischen Schulen eingeführt wurde, d. h. mit Schwarzkreide und Gips auf blau grundirtem Papier ausgeführt[1]. In seiner


  1. Ein paar solcher Zeichnungen Gaudenzio’s besitzt auch die Sammlung der Uffizien, z. B. Maria in einer Glorie von Engeln (No. 198) und Maria mit dem Kinde und zwei Engeln (No. 238], unter dem falschen Namen des Giacomo Francia.
Empfohlene Zitierweise:
Giovanni Morelli (Pseudonym Ivan Lermolieff): Die Werke italienischer Meister in den Galerien von München, Dresden und Berlin. Verlag von E. A. Seemann, Leipzig 1880, Seite 483. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Werke_italienischer_Meister_(Morelli).pdf/502&oldid=- (Version vom 31.7.2018)