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glaubt genug Mutter zu seyn, wenn sie des Tags einigemahl auf wenige Minuten das Kindszimmer besucht, das Kind küßt, seine Schönheit lobt, und ihm einige Stückchen Zuckerwerk gibt. – – Unsre Gräfin ist keine so grausame Mutter, – sie weiß, daß sie allein Mutter ist, daß die beste Kindsfrau doch immer nur ein Miethling ist; daß nicht Natur und Herz, sondern Interesse und Zwang, höchstens erkaufte Pflicht sie leitet. – Sie hat also ihre Kinder (der Himmel gab ihr bisher mehrere) von dem Augenblicke der Geburt an meistens um sich, sie nimmt dieselben auf den Arm, legt sie auf ihre Schooß und an ihre Brust, spielt, tändelt, spricht mit ihnen; – ihr erster Gang des Morgens ist ins Kindszimmer, sie selbst wäscht jedes Kind, säubert es, zieht es zum Theil an, – wenigstens ist sie immer dabey gegenwärtig, wenn sie es zuweilen von der Kindsmagd thun läßt. – Sie ist es, die dem Kinde die ersten Töne, die ersten Begriffe lehrt; sie weckt frühzeitig ihren Geist, lehrt ihnen die Buchstaben kennen, buchstabiren, lesen, französisch; unterhält sie manche Stunde mit kleinen Handzeichnungen, Abbildungen aus dem Reiche der Natur, mit angenehmen und nützlichen kleinen Erzählungen, und mancherley, das die kleinen Herzchen von Wachs zu bilden vermag. – O wären doch andere Mütter nur zur Hälfte so; manche Dame bekümmert sich um alles, nur nicht um ihre armen Kinder. –

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Anonym: Die musterhafte Dame, kein Ideal in: Journal von und für Franken, Band 5. Raw, Nürnberg 1792, Seite 103. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_musterhafte_Dame,_kein_Ideal.pdf/7&oldid=- (Version vom 31.7.2018)