Die musterhafte Dame, kein Ideal

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Autor: Anonym
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Titel: Die musterhafte Dame, kein Ideal
Untertitel:
aus: Journal von und für Franken, Band 5, S. 97–111
Herausgeber: Johann Caspar Bundschuh, Johann Christian Siebenkees
Auflage:
Entstehungsdatum:
Erscheinungsdatum: 1792
Verlag: Raw
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Erscheinungsort: Nürnberg
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Quelle: UB Bielefeld, Commons
Kurzbeschreibung:
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VI.
Die musterhafte Dame, kein Ideal.
Gräfin von R–h–n gebohrne Freyin von L–st–n genoß in ihrer Jugend eine vortreffliche und ausgezeichnete Erziehung. Sie verlor ihre Mutter sehr frühzeitig: ihr Herr Vater heyrathete zum zweytenmahle, und seine neue Gemahlin vertrat mit allem Eifer die Stelle der natürlichen Mutter an dessen Kindern. – Vereinte Bemühung und Sorgfalt des Vaters, der ein sehr aufgeklärter| und liebenswürdiger Cavalier war, und dessen Gemahlin, die von Jugend auf am Hofe gelebt hatte, bildeten das Herz und den Verstand der jetzigen Gräfin von R – – – zur beneidenswehrten Größe. – Unter so guten Händen, versehen mit den nothwendigen Lehrern und Lehrerinnen, gedieh ihr Geist weit über die gewöhnliche weibliche Größe und Erhabenheit; er blieb nicht in der Sphäre weiblicher Eingeschränktheit; er wagte höhern Flug in das Studium mehrerer Sprachen, in Philosophie, Geschichte, Zeichnen, Mahlerkunst, Musik, und andre Gegenstände, die gewöhnlich Frauenzimmer kaum den Namen nach kennen. – Sie denkt richtig, urtheilt gut, und mit Einsicht. – Sie spricht ihre Muttersprache, französisch, italiänisch, englisch. – Ihre Bibliothek enthält keine Romane; – gute Reisebeschreibungen, philosophische, moralische, pädagogische Schriften und Geschichte sind die Fächer ihrer kleinen aber auserlesenen Büchersammlung. – Ihre Zeichnungen verrathen Meisterzüge und die geschickteste Hand, die Meisterin würde, wenn Zeichnen ihre tägliche Beschäfftigung wäre. – Sie spielt Klavier mit Ausdruck und Empfindung, und ihre Stimme ist angenehm, schmelzend, empfindungsvoll. – Ihr Herz ist so groß wie ihr Verstand; weiter unten werde ich suchen, dessen Züge zu entfalten.
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  Gräfin R – – – hatte von der Natur ein Geschenke bekommen, wornach jedes Mädchen| geizt, das eines dem andern beneidet, und ihm selten aufrichtig eingesteht; – sie war schön gebaut, wie eine Grazie. – Ihr Vater war Minister an einem gewissen Hofe, sie lebte also so ziemlich von Jugend auf in der großen Welt. – – Tausend andere würden auf einem solchen Platze mit ihrer Schönheit gewuchert haben. Sie hätte ein Heer von Anbetern und süßen Schmeichlern um sich her gezaubert, – aber dieß that unsre verehrungswürdige Dame nicht; ihr Herz kannte keine feine und betrügerische Künsteley; ihr Spiegel sagte ihr, daß sie schön, daß sie eine Grazie sey, aber die Vernunft sagte ihr auch, daß es ungereimt sey, seine Schönheit, seine Reize so boshaft anzuwenden, hundert zu besiegen, und nur einen glücklich zu machen. – Die Art, mit der sie jeden behandelte, war offen, ihr Umgang mit jungen Herren war nur nothwendig, nie gesucht; sie sprach mit jedem, wenn es Umstände und Gelegenheit erforderten, sprach mit ihm, wie es der Faden des Gesprächs gab, aber mit einem nur sprach sie als innigste Freundin, einem nur öffnete sie ihr Herz, – und dieser eine, dieser glückliche, dieser beneidenswehrte war Graf von R. – – – Er war nicht mehr das faselnde junge Herrchen, er girrte, er kniete nicht, aber er war Mann, hatte Vestigkeit des Charakters, Biedersinn und Edelmuth. – Sie gab ihm ihr Herz, und endlich mit erbettener Einwilligung| ihrer Ältern und Anverwandten ihre Hand.

 Durch des Priesters Hand mit ihrem Gemahle auf ewig gekettet, war ihr erstes Bestreben, dessen verschiedene Launen, die er, wie alle Männer, hat, zu studiren. Sie vermag jeden seiner Winke, jeden Blick zu deuten. – Ihr Leben ist wechselweises Vergnügen; ihr Band ist mit keinen Dornen durchwebt. – So ein glückliches Bestreben verbreitet über den Ehestand Wonne und immer auflebendes Vergnügen. – Des Liebhabers heiße Flamme lodert nicht ewig in des Gatten Brust; die heftigste Liebe wandelt sich nach und nach in Freundschaft, – aber Freunde müssen sich kennen, um es auf ewig zu bleiben. – Unglück dem, der seinen Freund nicht kennt!

 Neue Verhältnisse zeugen neue Pflichten. – Gräfin von R – – – war Gattin und hatte nun die schwere Sorge für eigenes Hauswesen. Modedamen verstehen diese Last zu entfernen; sie nehmen Haushälterinnen; diese müssen alles besorgen; die gemächliche Dame nach der Welt hat keine Sorge, als wie sie ihre Toilette macht, sich kleidet, in die Gesellschaft geht und sich belustiget; unsre verehrungswürdige Gräfin nicht so; – sie kennt die Pflichten ihres Standes, sie erfüllt sie. – Ihre erste Sorge war, die etwas unordentlichen Vermögensumstände| ihres Gemahls zu berichtigen. – Sie ordnete nach Grundsätzen, nach überdachten Planen. Sie vergaß das Nothwendige nicht, und schnitt das Unnöthige im Aufwande weg. – Sie schränkte ein, ohne deswegen kärglich etwas davon wegzuziehen, was Stand, Rang und Herkommen forderte, oder gebot. – Ihr Haus steht jedem Freunde offen, nur nicht jenen, die glatte Zungen, gierige Hände und geräumige Magen, aber kein freundschaftliches, kein aufrichtiges Herz mitbringen. – Ihre Bedienung ist zahlreich ohne Müssiggänger, ihre Leute sind trefflich genährt und gezahlt. – Ihr Tisch ist standesmäßig, aber frugal. – Ihr Prunk ist vernünftig, mehr nach verhältnißmäßiger Notwendigkeit, als nach auffallender Mode. Der ganze Aufwand ist das, was er seyn soll, – vernünftig, zweckmäßig und passend für ihre politischen Verhältnisse. – Sie ist ächte Hausfrau, alles hängt von ihrem Befehle, von ihrer Anordnung ab; sie besucht täglich öfters die Küche und Speisekammer, sie gibt die Speisen an, schaut fleißig ihren Leuten nach. – Sie führt selbst die nöthige Rechnung; ihre Haushälterin ist nur Sachwalterin, besorgt ihre Befehle und führt nur die tägliche zu sehr ins Kleine laufende Rechnung, die aber die Gräfin alle 8 Tage selbst wieder in ihre eigenhändige Rechnung einträgt. – Ihr Haushaltungsgeschäfft ist ihr wehrter, als Gesellschaft und rauschendes Vergnügen der großen Welt.
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|  Gräfin von R – – – ist Mutter, – ist es mehr, als gewöhnlich adeliche Mütter sind; – ist es ganz. – Der Himmel segnete ihren Ehestand schon im ersten Jahre mit einem männlichen Erben. – Sie fühlte den erhabnen Muttertitel, sie fühlte was ihr die Natur gebot, sie gehorchte gerne und freudig. – Sie wollte ihr Kind selbst nähren, ihm selbst die Brust reichen; aber gegründete Wiederrathung des Arztes verbot es ihr; – sie mußte gegen ihren Willen nachgeben. – Aber auch keine Säugamme nahm sie, um ihrem theuren Kinde keine verdorbene und schädliche Milch einzuflößen. – Sie ging das wichtige Werk der ersten Erziehung mit Überlegung an, unterstützt und geleitet von vernünftigem und geprobtem Rathe. – Schon während ihrer Schwangerschaft suchte sie sich zum voraus durch die Lectüre der besten Erziehungsschriften zur guten Mutter zu bilden, – und als wirkliche Mutter that sie, was wenige, was vielleicht keine thut: – sie entsagte ihren Lieblingsbeschäfftigungen, dem Zeichnen, der Musik, und den Sprachen; sie las nur Erziehungsschriften, sie lebte nur für ihr Kind. Manche Dame entfernt ihr Kind gleich nach der Geburt, um nicht von seinem hülflosen Weinen gestört zu werden, – sie nimmt es nicht auf den Arm, damit es nicht etwa nach einer herabhangenden Locke, nach einer bunten Feder hascht, und etwas am Kopfputze verdirbt, sie übergibt es der Kindsmagd, und| glaubt genug Mutter zu seyn, wenn sie des Tags einigemahl auf wenige Minuten das Kindszimmer besucht, das Kind küßt, seine Schönheit lobt, und ihm einige Stückchen Zuckerwerk gibt. – – Unsre Gräfin ist keine so grausame Mutter, – sie weiß, daß sie allein Mutter ist, daß die beste Kindsfrau doch immer nur ein Miethling ist; daß nicht Natur und Herz, sondern Interesse und Zwang, höchstens erkaufte Pflicht sie leitet. – Sie hat also ihre Kinder (der Himmel gab ihr bisher mehrere) von dem Augenblicke der Geburt an meistens um sich, sie nimmt dieselben auf den Arm, legt sie auf ihre Schooß und an ihre Brust, spielt, tändelt, spricht mit ihnen; – ihr erster Gang des Morgens ist ins Kindszimmer, sie selbst wäscht jedes Kind, säubert es, zieht es zum Theil an, – wenigstens ist sie immer dabey gegenwärtig, wenn sie es zuweilen von der Kindsmagd thun läßt. – Sie ist es, die dem Kinde die ersten Töne, die ersten Begriffe lehrt; sie weckt frühzeitig ihren Geist, lehrt ihnen die Buchstaben kennen, buchstabiren, lesen, französisch; unterhält sie manche Stunde mit kleinen Handzeichnungen, Abbildungen aus dem Reiche der Natur, mit angenehmen und nützlichen kleinen Erzählungen, und mancherley, das die kleinen Herzchen von Wachs zu bilden vermag. – O wären doch andere Mütter nur zur Hälfte so; manche Dame bekümmert sich um alles, nur nicht um ihre armen Kinder. –| Sie sagt: sie könne sich nicht mit ihnen abgeben, sie verstehe es nicht, aber oft nur deswegen, weil sie nicht will; – der Mensch hat erstaunliche Kraft zu wirken, wenn er nur will, und nicht zu träge ist.
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 Gräfin von R – – – ist, ohne Schmeicheley und Übertreibung, Meisterin in der Erziehungskunst; sie weiß ihre Kinder mit Liebe und Sanftmuth zu leiten, wie sie will. – Beständig unter ihren Augen, können sie nicht leicht eingewurzelte Fehler und Unarten besitzen, ihr Aug ist geübt, ihr Blick scharf, sie sieht alles, die Liebe vermag sie nie zu blenden: jeden Fehler, den sie merkt, sucht sie zu bessern; sie gibt deutliche Winke, verweist mit Sanftmuth, straft, wenn es nothwendig ist, mit Liebe; sie muntert ihre Kinder auf, gut und artig zu seyn, aber sie lobt sie selten, nie wegen Sachen, welche die gütige Natur gab. Ihre Kinder sind schön; ohne daß sie es wissen. – Sie sind gut und artig, weil sie sich selbst wohl dabey befinden, nicht, um nur Lob und lächelndes Zunicken zu haschen. – Wer Verweise scheut, darf es nie wagen, ihre Kinder zu loben. – Die Kinder wissen nichts anders von ihren Ältern, als daß sie recht gut für sie sorgen, von Rang und Stand wissen sie nichts, jedes Kind wird von jedermann ohne Umschweife mit seinem Namen genannt, um nicht von Jugend auf den unerträglichen und lächerlichen Stolz auf zufälligen Stand und leere Titel einzuflößen. –| Ich bin zu schwach, unsre Gräfin als Mutter und Erzieherin im wahren Lichte zu zeigen, auch die stärksten Farben würden nur am Ende einen Schattenriß machen, man kann sie anstaunen, an ihrer Größe hinaufblicken, sie fühlen; aber zu beschreiben, zu zeichnen vermag man nicht.
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 Am größten zeigte sich ihr zärtliches Mutterherz in der Krankheit ihres Erstgebornen, den eine schreckliche Lungensucht nach einer Krankheit von 7 Monaten in seinem fünften Jahre hinwegraffte. – Voll Hoffnung baldiger Genesung saß sie im Anfange an des kleinen Leidenden Bette, die Hoffnung auf frohe Zukunft mehrte ihre Sorgfalt, sie gab ihm selbst jeden Tropfen Arzney, sie war seine Wärterin. – Die Andauer des Übels minderte die Hoffnung, entfernte jeden Trost, sie weinte, sie jammerte zum Allvater hinauf, sie ging nicht von seinem Bette, sie verdoppelte ihre Sorgfalt, sie entzog sich den Schlaf; um beständig bey ihm seyn zu können, behielt sie ihn auf immer in ihren Zimmern. – Ein ungewöhnliches Husten des Kleinen in der Nacht schreckte sie aus dem Schlafe auf, sie sprang aus dem Bette um zu helfen, um zu sorgen; sie unterhielt ihn beständig mit mancherley angenehmen Gegenständen, um ihn wenigstens die Leiden vergessen zu machen; sie that, was nur immer Zärtlichkeit und Liebe vermag, sie versagte sich alles Vergnügen, alle Gesellschaft, alle Bequemlichkeit, ob sie gleich wieder hochschwanger| war, um ihr geliebtes Kind zu pflegen, um ihm, wo nicht Rettung, doch Linderung zu schaffen. Er war der Erstgeborne, er war ihr Liebling, aber doch nie zum Nachtheile und auf Kosten seiner Geschwister. Sie verließ den kleinen Leidenden nicht bis zu seinem Tode; – er starb unter ihren Augen, kaum drey Schritte war sie vom Bette; er wäre in ihren Armen gestorben, hätte nicht aus Besorgniß wegen dessen, was noch unsichtbar unter ihrem Herzen lag, ihr Gemahl sie vom Bette hinweggeführt. – – – Ihren Schmerz, ihren Jammer vermag keine Feder zu beschreiben. Zärtliche Mütter können ihn fühlen. Der Tod eines geliebten und hoffnungsvollen Kindes schlägt immer tiefere Wunden in dem weichen Mutterherze, als in jenem des Vaters. Männerherzen sind nicht so weich, nicht so reizbar. – Sie verließ von ihrem vorsichtigen Gemahle liebvoll gezogen auf einige Tage das Haus, sie zerfloß in Thränen; – der Schlag war zu heftig, die Wunde zu tief, der erste Ausbruch des Schmerzens mußte heftig und fürchterlich seyn, – aber sie ist Christin, vernünftige Christin, sie faßte sich bald wieder. – Die Briefe, die sie in diesem leidenvollen Zeitpuncte schrieb, sind kummervoll; – aber sie zeugen auch von edeln und ächten Christensinne. – – Sie hielt sich an den vesten Stab der Religion und sank nicht.
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|  Wen überzeugt nicht dieser einzige Zug von ihrer Religiosität? – Sie ist fromm und gottesfürchtig, ohne bigott zu seyn; – aufgeklärt ohne Witzeley und religiöse Mode. – Sie ist evangelisch, und wohnt in einer katholischen Stadt; aber sie versäumt den Gottesdienst ihrer Kirche nicht, sie fährt alle Sonntage aus der Stadt weg auf ein benachbartes protestantisches Ort, und wenn sie dringende Notwendigkeit zurückhält, so vergißt sie nie zu Hause ihre gottesdienstlichen Übungen. – Zum Abendmahle geht sie gewöhnlich des Jahrs viermahl. – Gebet und häusliche Andacht ist für immer in ihre Tagordnung eingewebt. – Sie hat eine Moral und überhaupt ächten Christensinn. – Ihr Gemahl ist katholisch, ist es mit gewissem auffallendem Eifer, aber sie weiß sich so gut gegen ihn zu benehmen, daß nie Fehde unter ihnen ist. – Sie ist frey vom Sectirergeiste und von Proselytenmacherey. – Ihre Kinder werden alle vermöge der Ehepacten katholisch erzogen, – sie ist ihre Erzieherin, aber sie führt sie nie zu ihrer Religion an. – Sie ist überzeugt von ihrer Religion, aber nie hitzige Verfechterin der Meinungen. – Sie hängt treu der Lehre ihrer Kirche an, aber sie will sie nie andern aufzwingen. – Die Hauptsache der Religion besteht doch immer in innrer Herzensgüte, und in guten Handlungen. – Die Güte ihres Herzens ist vortrefflich, ist ausgezeichnet. – Heftige Bewegungen, Leidenschaften tyrannisiren| und erschüttern sie nie. Ihre Vernunft ist Meisterin des Willens. Ihr Temperament ist etwas zu Jähzorn und Aufbrausung geneigt, aber sie weiß sich zu besiegen, sie weiß den Ausbrüchen des Feuers mächtigen Damm zu setzen. – – Gegen jeden leutselig, gesprächig, frey von Stolz, Falschheit, Heucheley, gegen jeden so, wie es die Verhältnisse fordern, herablassend, zuvorkommend, liebt sie jedes, jedes verehrt sie, jedes staunt sie an. – Sie ist die wärmste, die thätigste Menschenfreundin, – und wer verehrt nicht diese? – Sie gibt den Armen und Dürftigen Trost und Unterstützung, sie gibt sogar manchen Leuten den menschenfreundlichen Auftrag, Elende aufzusuchen, und ihr anzuzeigen; heimlich unterstützt sie selbige dann mit ihrem eigenen Spielgelde. Sie verheimlichet solche edle Handlungen mit Sorgfalt und Edelmuth. Sie gibt, um zu helfen, zu unterstützten, zu retten, oder wenigstens die Leiden zu mindern. Ihr Gewissen und ihr Herz lohnt sie für ihre edlen Thaten mit dem süßen Vergnügen des Wohlthuns, sie verlangt nicht der Menschenlob als Lohn. – – Ich kennte diesen edlen Zug nicht von ihr, wenn ihre Sachwalter eben so heimlich damit seyn könnten, wie sie. – Aus edeln Thaten ein Geheimniß machen ist leicht für den Menschenfreund, der sie beginnt, er hüllt sich in sein süßes Bewustseyn ein; aber schwer, unmöglich| für den, der sie sieht, oder ein Werkzeug dabey ist.

 Gräfin von R – – – ist überall verehrungswürdig, – auch als Gesellschafterin. – Sie besucht wenige Gesellschaften ausser ihrem Hause, sie vermag den lästigen Ton nicht gut zu ertragen. – Fast alle Gesellschaften von gewöhnlichem Schlage gehen da hinaus: man kommt zusammen, trinkt Thee, spricht von Mode, etwas weniges aus der Zeitung, klagt über verdorbene Zeiten und Theurung, zischt die Abwesenden aus, und beobachtet einander, um in andern Gesellschaften wieder reichhaltigen Stoff zu haben. – Unsre Gräfin ist keine Freundin solcher abgeschmackten Zeitvertreibe; sie empören ihr Herz –, beleidigen ihre Grundsätze. – Andern vernünftigen Ton in den Gesellschaften einzuführen ist Unmöglichkeit, der Gedanke dazu eine Chimäre, – wenn nicht alle Damen eine gute Erziehung genießen. – Sie besucht also nur Gesellschaften aus gewisser Nothwendigkeit, um dem einmahl hergebrachten gedankenlosen Ceremoniel, das Vernunft und Herz schweigen heißt, nachzugeben. Sie verläßt immer ungern aus Zwang ihr Haus. – Die Erziehung ihrer Kinder, und ihr Hauswesen sind ihr theurer als Ball, Spiel und Gesellschaft, sind für sie angenehmere Beschäfftigung und Zeitvertreib.

 Zuweilen sammelt sie einen kleinen Kreis von Freunden um sich her, und dann vergnügt sie sich| ganz. Die Gesellschaft ist nicht aus Ceremoniel, nicht aus Etiquettenzwang gewählt, das Herz liest sie aus. – Nicht hoher Rang und Ansehen, sondern Geschicklichkeit, Biedersinn, Edelmuth und Thätigteit sind die Mittel, ihr Freund zu werden. – – In Gesellschaften ist sie gesprächig, liebreich, gutmeinend, bescheiden, nie beleidigend – sie spricht von allem, so viel es Anstand und Schicklichkeit erlaubt, aber sie spricht nie entscheidend, führt nie das Wort; – sie besitzt vortreffliche Kenntnisse, aber sie prahlt nie damit; sie sucht sie sogar zu verheimlichen, um ja nie den Verdacht auf sich zu laden, als wolle sie für eine gelehrte Dame gelten; sie schweigt oft, um ihre Kenntnisse nicht zur Schau zu stellen: sie hat die Miene der Schülerin, wenn sie selbst unterrichten könnte. – Ihr Mund öffnet sich nie, um jemand zu verachten, Böses von ihm zu sprechen, wenn es auch wahr wäre, oder gar zu verläumden – sie schweigt, entschuldiget oft die Fehler oder bemitleidet sie wenigstens, wenn sie nicht entschuldigen kann, – Sie stört kein Vergnügen, nimmt Theil an jedem, das gut ist und sich für sie schickt. – Sie handelt als Weise, aber immer ohne Prahlerey, ohne Affectation in sich selbst zurückgezogen, nicht um bemerkt zu werden; sie handelt gut, weil es ihr angewöhnte Fertigkeit ist, beständig so zu handeln.
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 Mit einem Worte, um alle diese herrliche Züge auf einen Punct zusammen zu fassen: Gräfin| R – – – ist in allem musterhaft, in allem groß. – Sie ist zärtliche Gattin ihrem Gemahle, liebvolle und besorgte Mutter ihren Kindern, geschickte und fleißige Hausfrau in ihrer Haushaltung, gütige Gebieterin ihren Untergebnen, ächte Christin, Freundin der Tugend und der Menschheit, liebe und theilnehmende Gesellschafterin. – O folgten doch alle Schönen einem so vortrefflichen Muster!