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Seite:Dresdner Geschichtsblätter Dritter Band.pdf/127

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Neben all diesen Schatten aber fehlt es im Zeitalter des Rationalismus glücklicherweise doch auch nicht an Lichtpunkten. Wir gedenken da zunächst der Geistlichen und des Fleißes, in dem z. B. der erwähnte Mag. Frenkel täglich von früh ½3 Uhr an 20 Stunden gearbeitet haben soll, während Diakonus Fleck von der Annenkirche mitten in den Drangsalen des Siebenjährigen Krieges so gern arbeiten wollte, daß er sich vor dem Thore ein eigenes Häuschen kaufte. Er erreichte freilich sein Ziel nicht; denn noch ehe er „seine Glückseligkeit“ darin genießen konnte, hatte man ihm Einquartierung hineingelegt, worüber er sich in einem Schreiben an den Rath aufs betrübteste beklagt. Wir gedenken weiter ebenso der treuen Seelsorge eines Cramer und Jaspis, wie der wissenschaftlichen Tüchtigkeit der Dresdner Geistlichen, von denen Diakonus Vaupel durch seine orientalischen Kenntnisse und Festungsbauprediger Hasche durch seine kirchengeschichtlichen Arbeiten bekannt ward. Die Namen der Oberhofprediger Marperger, Hermann und Reinhardt aber hatten in der wissenschaftlichen Welt ganz Deutschlands einen guten Klang. Fern von aller charakterlosen Schmeichelei waren die Predigten, die Superintendent Am Ende vor Friedrich dem Großen hielt, an Oberhofprediger Reinhardts „sittlich schöner Seele“ aber fand in Karlsbad, wo er ihm näher trat, auch ein Goethe Wohlgefallen. Und wenn Tittmann, dieser unentwegte Vertreter des reinsten Rationalismus, dem wir um seiner kirchlichen Thätigkeit willen besondere Verdienste nicht zusprechen möchten, eigenthümlicher Weise auch der erste Dresdner Superintendent war, der seinen Ruheplatz nicht in der Frauenkirche fand – er wurde auf dem Johanniskirchhof begraben – so ward er doch um seiner öffentlichen Verdienste willen als Erster mit dem neugegründeten Sächsischen Verdienstkreuze ausgezeichnet.

Aber auch die Bevölkerung Dresdens zeigt in der Zeit des Rationalismus ihre Lichtseiten. Können wir die Philistergestalten Ludwig Richters, in denen er uns seine Zeitgenossen mit leisem Spotte so greifbar deutlich vor die Augen gestellt hat, auch nur mit einem Lächeln ansehen, so wissen wir doch, daß jenem Geschlecht der Biedermeierzeit Biederkeit, Schlichtheit der Lebensführung und äußeres Achten auf Wohlanständigkeit ebensowenig abzusprechen ist, wie eine oft bis ans Pedantische grenzende pünktliche Pflichterfüllung. Von Wohlthätigkeits-Stiftungen der Zeit aber, die freilich der Kirche, wie erwähnt, nur recht selten zu Gute kamen, nennen wir vor allem die damals gegründeten Armen- und Industrieschulen. Im Jahre 1772 wurde die erste in Neustadt, 1785 eine solche in Friedrichstadt, 1789 je eine „auf dem Sande“ und im Jakobshospital errichtet, worauf 1804 diejenige vor dem Pirnschen Thor ins Leben trat. Wenn wir da hören von der Vertheilung der Rumfordschen Suppe, von der zunächst 50, im April 1800 schon 216 Personen täglich eine Kanne erhielten, hören dann von der Einrichtung von vier Suppenanstalten nebst damit verbundenen Wärmestuben, die zugleich Arbeitsstuben waren, hören davon, wie bei der Theuerung im Winter 1805/6 dort in fünf Monaten nicht weniger als 182 859 Kannen Suppe vertheilt worden sind, so erkennen wir gern an, daß damals in unsrer Stadt wenigstens diese Ansätze zu dem, was wir heute innere Mission nennen, vorhanden waren. Gegründet wurde übrigens die Antonstädter Schule 1789 wesentlich durch den Neustädter Pfarrer Kell, in dem sich demnach die Liebe eben so kräftig und wirksam erwies, wie sie vorbildlich war in Reinhardt, der trotz großer Einkünfte bei seiner außerordentlichen Freigebigkeit doch völlig vermögenslos starb.

Wundere sich übrigens Niemand, daß im Vorgehenden mehrfach der Katholik Ludwig Richter und auch reformirte Geistliche erwähnt wurden. Der Rationalismus, der sich um Glaubenslehren sehr wenig kümmerte, hatte naturgemäß auch kein Verständniß für Glaubensunterschiede, und so ist es wohl verständlich, daß wie anderwärts, so auch in Dresden in der Aufklärungszeit der Gegensatz zwar nach nicht der Religionen, wohl aber der Konfessionen im Allgemeinen sehr zurücktrat. Die Juden wurden allerdings noch nicht für gleichberechtigt anerkannt, sondern waren auch nach der Judenordnung von 1772 in der Residenz nur geduldet. Im Jahre 1837 wurde ihnen wenigstens gestattet, sich zu einer selbständigen Religionsgesellschaft zu vereinigen, aber erst das Jahr 1867 hat ihnen, eine Frucht des neuen Norddeutschen Bundes, die volle Gleichberechtigung mit ihren christlichen Mitbürgern gebracht. Dagegen fielen schon hundert Jahre früher anscheinend immer mehr die Schranken, welche die Dresdner Lutheraner vorher so scharf von Reformirten und Katholiken geschieden hatten.

Freundschaftlichst verkehrten die lutherischen und reformirten Geistlichen miteinander. Reformirte Geistliche betheiligten sich an der Einweihung der Kreuzkirche, während umgekehrt schon Demoiselle Lucius den Gottesdienst in der reformirten Kirche besuchte. Ebenso war vielfach der Gegensatz zwischen römischer und lutherischer Kirche verwischt. So kann schon 1752 in Dresdens gelehrtem Anzeiger ein Artikel Aufnahme finden über das Lob, das von den Protestanten ihren katholischen Vorfahren gebührt, und wenn ein 1805 hier erschienenes katholisches Erbauungsbuch kein wesentlich anderes Christenthum bietet, als das rationalistische der lutherischen Geistlichen, so dürfen wir uns nicht wundern, daß der katholische Pfarrer Schneider unter seinen Zuhörern, wie berichtet wird, stets auf viele Anhänger Luthers und Calvins rechnen konnte. In der That hat ebenso die Lucius, wie die Familie Kügelgen öfters die katholische Kirche besucht, ja sogar der Philosoph Krause wohnte den Gottesdiensten in ihr öfter bei, freilich wesentlich,

Empfohlene Zitierweise:
Dr. Otto Richter (Hrsg.): Dresdner Geschichtsblätter Band 3 (1901 bis 1904). Wilhelm Baensch Dresden, Dresden 1901 bis 1904, Seite 120. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Dresdner_Geschichtsbl%C3%A4tter_Dritter_Band.pdf/127&oldid=- (Version vom 23.10.2024)