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Seite:Dresdner Geschichtsblätter Dritter Band.pdf/270

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Brandenburg, sondern der Ueberlieferung seiner Vorfahren getreu an das katholische Kaiserhaus an.

Auch der kirchliche Horizont Sachsens war in jenen Tagen von schweren Wetterwolken umzogen. Die Gegensätze der Konfessionen im Reiche schienen unüberbrückbar geworden zu sein. Die Streitsucht der Theologen, die schon früher feiner organisirte Naturen wie Melanchthon mit bangen Sorgen für die Zukunft der Kirche erfüllt hatte, kannte jetzt keine Grenzen mehr. Die Kanzeln hallten wieder von wüsten Schmähungen aller Andersdenkenden. Der Dresdner Hofprediger Polycarp Leyser erwarb sich durch seine Schrift „Ob, wie und warum man lieber mit den Papisten Gemeinschaft haben soll, als mit den Kalvinisten“ stürmischen Beifall, und sein geistesverwandter Kollege Hoe von Hoenegg stellte 99 Punkte zusammen, in denen die Reformirten mit den Arianern und Türken übereinstimmen sollten. Auch die Ungebildeten fanden Geschmack an der Erörterung theologischer Streitfragen. Die Handwerksgesellen behandelten in ihren Trinkstuben weitläufig die Ubiquität des Leibes Christi, und mehr als einmal bewies, wie einst im alten Byzanz, der Dresdner Straßenpöbel Andersdenkenden seine Unfehlbarkeit in dogmatischen Dingen durch die Logik des Knüttels.

In enger Beziehung zu dem Niedergange der Religion stand ein zunehmender Verfall der Sitten, Rohheit, Zügellosigkeit und unsinniger Luxus rissen in allen Kreisen ein. Namentlich Trunksucht und Völlerei nahmen in erschreckender Weise überhand, nicht ohne Schuld des Hofes, der mit üblem Beispiel voranging. Die Verbrechen häuften sich trotz verschärfter Strafen. Grausame Hinrichtungen waren an der Tagesordnung, doch schienen sie nicht abschreckend zu wirken. Denn wir lesen mit Verwunderung, daß die Dresdner Bürger mit Weib und Kind in Scharen nach der Richtstätte zogen, um sich hier stundenlang an Schauspielen zu ergötzen, deren Anblick unsere modernen Nerven schwerlich mehr gewachsen sein sein möchten. Vergeblich kämpfte die Geistlichkeit gegen das rapide Anwachsen aller Laster. Ernste Gemüther sahen ein, daß ein völliger Zusammenbruch bevorstand. Viele glaubten das Ende der Welt gekommen und sehnten es sogar herbei. „Ach komm, du lieber jüngster Tag“ heißt es in einem Dresdner Kirchenliede jener Zeit, und der alte Daniel Winzenberger stellte aus der Bibel 20 Vorzeichen des Endgerichts zusammen und wies nach, daß fast alle schon eingetroffen waren.

Um ein möglichst vollständiges Bild des Dresdner Geisteslebens in Anfang des 17. Jahrhunderts zu geben, werde ich alle damals in unserer Stadt lebenden, einigermaßen geistig bedeutenden Persönlichkeiten nebst ihren Werken vorzuführen suchen.

Unter den Gelehrten nahmen die Geistlichen durch Bildung und Einfluß die erste Stelle ein. Als Hofprediger wirkten um diese Zeit Polycarp Leyser der Ältere, Konrad Blatt und Matthias Hoe von Hoenegg, an der Kreuzkirche als Pfarrer und Superintendent Theophilus Glaser, als Stadtprediger Balthasar Meißner, als Diakonus und Sophienprediger Adam Müller, an der Dreikönigskirche als Pfarrer Johann Hestius, als Diakonus Gabriel Krahl, endlich an der Annenkirche als Pfarrer und Pestilenzprediger Tobias Schneider. Die Frauenkirche bildete damals noch keine selbständige Parochie. Sämmtliche Geistliche waren Anhänger der strengsten lutherischen Rechtgläubigkeit. Alle des Kryptokalvinismus verdächtigen hatten schon unter dem Administrator Friedrich Wilhelm die Stadt verlassen müssen. Trotzdem war das Mißtrauen gegen heimliche Anschläge der Kalvinisten noch nicht aus den Herzen der Bürger verschwunden. Um wenigstens das Beamtenthum an die Orthodoxie zu fesseln, war 1602 auf Leysers Betreiben der formelle Religionseid auf das Konkordienbuch eingeführt worden.

Die meisten der eben genannten Geistlichen werden von den Zeitgenossen als treffliche Kanzelredner gerühmt, doch stellte man damals offenbar nur sehr bescheidene Ansprüche. Von fast allen haben sich gedruckte Predigten erhalten. Für moderne Leser sind dieselben nahezu ungenießbar. Sie zeugen zwar von gründlicher Kenntniß der Bibel und der Schriften Luthers, aber ihr Inhalt beschränkt sich im wesentlichen auf dürre, spitzfindige und gemüthlose Dogmatik und auf gehässige Polemik, und das unaufhörliche Prunken mit gelehrten Zitaten in den drei alten Hauptsprachen wirkt geradezu unerträglich. Wenn es wahr ist, daß der Stil ein Abbild des Menschen ist, so wird man den Urhebern dieser Predigten nicht Unrecht thun, wenn man sie für trockene und phantasielose Pedanten erklärt.

Der einflußreichste unter allen Dresdner Geistlichen war damals ohne Zweifel Polycarp Leyser[1], der Schwiegersohn des jüngeren Lukas Cranach, ein kleiner, immer kränklicher Mann von schwachem Körper, aber starkem Geist, bedeutender Thatkraft und umfassender Gelehrsamkeit. Als Schüler der beiden strenggläubigen Württemberger Lutheraner Jakob Andreä und Johann Brenz war er dem unverfälschten Lutherthum von ganzem

Anmerkungen

  1. Paul Jenisch, Eine Chriftliche Predigt, Beym Begräbniß ... Polycarpi Lyseri ... Dreßden 1610. Nachdruck: Leipzig 1610. – Heinricus Höpfner, Oratio funebris honori et memoriae Polycarpi Lyseri ... dicta ... [Lipsiae] 1610. – Leonhard Hutter, Laudatio funebris in Polycarpum Lyserum ... Wittebergae 1610. – Epicedia in obitum Polycarpi Lyseri ... conscripta a cognatis et amicis. Lipsiae [1610]. – Zwo Christliche Leich-Predigten, Die Erste: Beym Begräbniß ... Polycarpi Lyseri ... Gehalten durch Paulum Jenisch ... Die Ander: Bey Bestattung ... Elisabethen Cranachin ... Polycarpi Leysers ... Witwen ... Gehalten durch Paulum Röbern ... Wittemberg 1647.
Empfohlene Zitierweise:
Dr. Otto Richter (Hrsg.): Dresdner Geschichtsblätter Band 3 (1901 bis 1904). Wilhelm Baensch Dresden, Dresden 1901 bis 1904, Seite 250. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Dresdner_Geschichtsbl%C3%A4tter_Dritter_Band.pdf/270&oldid=- (Version vom 7.10.2024)