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Ausgaben – wieviel könnte sonst von den oft fürstlichen Gehältern erspart werden! Daß der Handlungsgehilfe einer vornehmen Firma in der Lage ist, mit eigenem Wagen, mit betreßtem Diener auf dem Kutscherbock und mindestens einem Sais, d. h. Pferdejungen, hintenauf, vor seinem Geschäftslokal vorzufahren, gilt für ebenso selbstverständlich wie die Mitnahme von Dienerschaft bei jedem Ausflug, bei jeder Reise. Nur zu bald gefällt einem nach Indien kommenden jungen deutschen Kaufmann dieses auf Schritt und Tritt von willigen scheuen Sklaven Bedientwerden, und schwer nur kann er sich später wieder an die einfacheren Gebräuche der Heimat gewöhnen. Auch das ist eine der merkwürdigen Seiten Indiens: der dort lebende Europäer, besonders der sentimentale Deutsche, sehnt sich Tag für Tag heim in sein kühleres Vaterland – hat er aber der von ihm so oft verwünschten heißen Heimat der Hindus den Rücken gekehrt, umbrausen ihn daheim wieder Winterstürme und beißt ihm Schneegestöber in die Augen, dann zieht es ihn magnetisch zurück! Ihm winkt im Traum der Palmenwipfel, aus dem ihm allmorgendlich ein aalglatter Hindubube die Kokosnuß brach, deren nachtkühler Saft ihm zum köstlichen Frühtrunke wurde. Düfte von Ananas, Mangos und Sandelholz scheinen ihm zuzuströmen; ihn lockt das stille Feuer in den Blicken der sanften Tänzerinnen, der „Rauchgirls“, deren gefällige Künste ihn so oft unterhielten, und nüchtern erscheint ihm das farblose Alltagsgetriebe der europäischen Welt neben jenem bunten, abenteuerlichen Gewimmel! Das süße Tirilieren der aufsteigenden Lerche genügt nicht mehr, ihn aus dem Schlummer zu wecken, was in Indien das gräßliche Gekrächz von Geiergeschwadern besorgte, die der rosenfingerigen Eos dort allerorten voraufziehen, und vergebens sucht den Schlaf, wem jahrelang indische Riesenheimchen[WS 1] mit hartem Geknatter einen Nachtgruß entboten.

Mit wenigen Ausnahmen, wie z. B. im stolzen Bombay, sind die Bahnhöfe in Indien einfach, immer aber praktisch den Landesbedürfnissen entsprechend gebaut. Wir treten in die Wartesäle. Riesige Panka-Fächer[WS 2] hängen von den Decken, und es sieht gerade so aus, als habe man dort oben lange, weiße Tischtücher in Rahmen ausgespannt und diese an Schnüren aufgehängt; außerhalb des Raumes hockende Kulis[WS 3] zerren diese Rahmen unablässig an einem Seile hin und her, um den darunter Weilenden Kühlung zuzufächeln, wobei sie sich mit Vorliebe auf den Rücken legen und die Kniee übereinanderschlagen, indem sie das Zugseil um den freipendelnden Fuß binden und auf diese Weise das Luftmeer im Speisesaale bewegen.

Ein wahrhaft beängstigendes Gedränge herrscht am Schalter für die letzte Wagenklasse, und fast unbegreiflich scheint es, daß diese scheinbar bettelarmen Burschen die allerdings erstaunlich billigen Fahrpreise für ihre Reise erschwingen können, um mit Weib und Kind weite Badewallfahrten nach heiligen Tempelteichen zu machen. So groß ist der Verkehr in dieser letzten Klasse, daß sein Ertrag, trotz der Billigkeit der Fahrkarten, die Einkünfte aus den oberen Klassen

bei weitem übertrifft.

Anmerkungen (Wikisource)

  1. WS: Riesenheimchen: Genaue Grillenspezies konnte noch nicht identifiziert werden.
  2. WS: Panka-Fächer: vergleiche Pankha
  3. WS: Kuli: vergleiche Kuli (Tagelöhner)
Empfohlene Zitierweise:
Kurt Boeck: Durch Indien ins verschlossene Land Nepal. Ferdinand Hirt & Sohn, Leipzig 1903, Seite 58. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Durch_Indien_ins_verschlossene_Land_Nepal.pdf/88&oldid=- (Version vom 1.7.2018)