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Die Botschaft der Heiligen Schrift

und der gekreuzigte Christus selbst. Christus ist Gottes Kraft und Gottes Weisheit nicht nur als Gottgesandter, Gottes Sohn und selbst Gott, sondern als Gekreuzigter. Denn der Kreuzestod ist das von Gottes unergründlicher Weisheit ersonnene Mittel der Erlösung. Um zu zeigen, daß Menschenkraft und Menschenweisheit unfähig sind, die Erlösung zu wirken, gibt Er die erlösende Kraft dem, der nach menschlichen Maßstäben schwach und töricht erscheint; der aus sich selbst nichts sein will, sondern allein Gottes Kraft in sich wirken läßt; der sich selbst „ausgeleert“ hat und „gehorsam geworden“ ist „bis zum Tode am Kreuz“[1]. Die erlösende Kraft: das ist die Macht, die zum Leben zu erwecken, in denen das göttliche Leben erstorben war durch die Sünde. Diese erlösende Kraft des Kreuzes ist eingegangen in das Wort vom Kreuz und geht durch dieses Wort über auf alle, die es aufnehmen, die sich ihm öffnen, ohne Wunderzeichen und Gründe menschlicher Weisheit zu verlangen; in ihnen wird es zu jener lebenspendenden und -formenden Kraft, die wir Kreuzeswissenschaft nannten. Paulus selbst hat es darin zur Vollendung gebracht: „Durch das Gesetz bin ich .... dem Gesetz abgestorben, damit ich Gott lebe; ich bin mit Christus an das Kreuz geheftet. Ich lebe aber, doch nicht mehr ich lebe, sondern Christus lebt in mir. Sofern ich aber jetzt im Fleisch lebe, lebe ich im Glauben an den Sohn Gottes, der mich geliebt und sich selbst für mich dahingegeben hat“[2]. In jenen Tagen, als es Nacht war um ihn, aber licht wurde in seiner Seele, hat der Eiferer für das Gesetz erkannt, daß das Gesetz nur Lehrmeister war auf dem Wege zu Christus. Es konnte vorbereiten auf den Empfang des Lebens, aber selbst kein Leben geben. Christus hat das Joch des Gesetzes auf sich genommen, indem Er es vollkommen erfüllte und für und durch das Gesetz starb. Eben damit hat Er die vom Gesetz befreit, die von Ihm das Leben empfangen wollen. Aber sie können es nur empfangen, wenn sie ihr eigenes Leben preisgeben. Denn die auf Christus getauft sind, sind auf Seinen Tod getauft[3]. Sie tauchen unter in Sein Leben, um Glieder Seines Leibes zu werden, als solche mit Ihm zu leiden und mit Ihm zu sterben, aber auch mit Ihm aufzuerstehen zum ewigen, göttlichen Leben. Dieses Leben wird in seiner Fülle für uns erst kommen am Tage der Herrlichkeit. Wir haben aber jetzt schon – „im Fleisch“ – Anteil daran, sofern wir glauben: glauben, daß Christus für uns gestorben ist, um uns das Leben zu geben. Dieser Glaube ist es, der uns mit Ihm eins werden läßt wie


  1. Phil. 2, 7-8.
  2. Gal. 2, 19-20.
  3. Rom. 6, 3 ff.
Empfohlene Zitierweise:
Edith Stein: Kreuzeswissenschaft. Editions Nauwelaerts, Louvain 1954, Seite 15. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Edith_Stein_-_Kreuzeswissenschaft.pdf/015&oldid=- (Version vom 31.7.2018)