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Das Meßopfer

Er feierte es im Kloster der hl. Anna in Medina del Campo, im September 1567, vielleicht in der Oktav von Maria Geburt, in Gegenwart seiner Mutter, seines ältesten Bruders Francisco und dessen Familie. Heilige Furcht hatte ihn vor der priesterlichen Würde zurückschrecken lassen, und nur der Gehorsam gegenüber den Weisungen seiner Vorgesetzten ließ ihn seine Bedenken überwinden. Nun, beim Beginn der hl. Feier, war der Gedanke an seine Unwürdigkeit wohl besonders lebendig. Es erwachte in ihm das brennende Verlangen, ganz rein zu sein, um das Allerheiligste mit makellosen Händen zu berühren. So steigt aus seinem Herzen die Bitte auf, der Herr möge ihn davor behüten, ihn jemals tödlich zu beleidigen. Er wollte den Reueschmerz fühlen für alle Fehler, in die er ohne Gottes Beistand fallen könnte, aber die Schuld nicht begehen. Bei der hl. Wandlung vernimmt er die Worte: „Ich gewähre dir, worum du mich bittest“. Er ist von nun an in der Gnade befestigt und hat die Herzensreinheit eines zweijährigen Kindes[1]. Rein sein von Schuld und doch den Schmerz fühlen – ist das nicht das wahre Einssein mit dem makellosen Lamm, das die Sünden der Welt auf sich nahm, ist es nicht Gethsemani und Golgotha?

Die Empfänglichkeit für die Größe der hl. Opferhandlung hat bei Johannes sicher niemals nachgelassen. Wir wissen, daß er in Baëza einmal in Verzückung vom Altar ging, ohne die hl. Messe zu beenden. Eine Anwesende rief, Engel müßten kommen, um diese hl. Messe zu beenden, da dieser heilige Pater sich nicht erinnerte, daß er sie nicht beendet habe. In Caravaca sah man ihn während der hl. Messe glänzend von Strahlen, die von der hl. Hostie ausgingen. Er selbst gestand in einer vertraulichen Mitteilung, daß er manchmal tagelang auf das hl. Meßopfer verzichtete, weil seine Natur zu schwach war, die Überfülle himmlischen Trostes zu ertragen[2]. Besonders gern hat er die Messe von der Hl. Dreifaltigkeit gelesen. Es besteht ja der engste Zusammenhang zwischen diesem erhabensten Geheimnis und dem hl. Opfer, das nach dem Ratschluß der drei göttlichen Personen eingesetzt ist, zu ihrer Ehre geschieht und den Zugang zu ihrem ewig strömenden Leben erschließt. Welche Fülle von Erleuchtungen dem Heiligen im Laufe seines Priesterlebens am Altar zuteil geworden sind, das ahnen wir nicht. Jedenfalls ist das Wachstum in der Wissenschaft des Kreuzes, die fortschreitende geheimnisvolle Umgestaltung in den Gekreuzigten zum großen Teil im Dienst des Altars geschehen.



  1. Vgl. P. Bruno a. a. O. S. 54 f. und die Vida des P. Gerardo de San Juan de la Cruz in der E. Cr. 136 f.
  2. P. Bruno a. a. O. S. 225.
Empfohlene Zitierweise:
Edith Stein: Kreuzeswissenschaft. Editions Nauwelaerts, Louvain 1954, Seite 17. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Edith_Stein_-_Kreuzeswissenschaft.pdf/017&oldid=- (Version vom 9.12.2016)