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Dunkle Nacht der Sinne

nach jener besseren Zeit zurückzusehnen, wo sie an den geistlichen Übungen mehr Wohlgeschmack und Genuß empfanden ...., dann verdunkelt ihnen Gott all dieses Licht, verschließt ihnen die Tür und verstopft ihnen die Quelle des süßen Wassers des Geistes, aus der sie bisher immer, und so oft es ihnen beliebte, getrunken hatten .... Jetzt .... versetzt Er sie in Dunkelheit, sodaß sie nicht wissen, wohin sie sich mit ihrer Einbildungskraft und ihren Gedanken wenden sollen“[1]. Alle frommen Übungen erscheinen ihnen nun geschmacklos, ja widerwärtig. Daß es sich dabei nicht um die Folge von Sünden und Unvollkommenheiten handelt, sondern um die reinigende Trockenheit der dunklen Nacht, sieht man an drei Kennzeichen:

1) daß die Seele auch an den Geschöpfen keinen Geschmack findet;

2) daß sie „mit peinlicher Angst und Sorge an Gott denkt und glaubt, sie diene Ihm nicht recht und es gehe rückwärts, weil sie keine Freude an göttlichen Dingen wahrnimmt“[2]. Denn darum würde sie sich keine Sorge machen, wenn ihre Trockenheit in Lauheit begründet wäre. In der reinigenden Trockenheit dagegen herrscht immer das Verlangen, Gott zu dienen. Und der Geist erstarkt, während der sinnliche Teil aus Mangel an Genuß sich schlaff und kraftlos fühlt. „Gott überträgt die Güter und Kräfte des sinnlichen Teils auf den Geist, und da die Sinnlichkeit und die natürliche Kraft für diese keine Empfänglichkeit haben, darum leiden sie Entbehrung, bleiben trocken und leer. Denn der sinnliche Teil des Menschen hat keine Befähigung für das, was des Geistes ist. Wenn daher der Geist Erquickung findet, fühlt das Fleisch Widerwillen und zeigt sich schlaff zum Handeln. Der Geist, der zur selben Zeit Nahrung empfängt, wird weit kräftiger, wachsamer und umsichtiger als vorher, um es im Dienst Gottes an nichts fehlen zu lassen“[3]. Weil er aber an geistige Süßigkeit noch nicht gewöhnt ist, empfindet er zunächst nichts davon, sondern nur Trockenheit und Mißfallen;

3) erkennt man die reinigende Trockenheit daran, „daß die Seele nicht mehr betrachten und nachsinnen und trotz aller Anstrengung den inneren Sinn der Einbildungskraft nicht mehr gebrauchen kann .... Gott teilt sich in diesem Stande der


  1. a. a. O. § 9, E. Cr. II 26 f.
  2. a. a. O. § 10 (Kap. 9), E. Cr. II 28.
  3. a. a. O. II 29.
Empfohlene Zitierweise:
Edith Stein: Kreuzeswissenschaft. Editions Nauwelaerts, Louvain 1954, Seite 44. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Edith_Stein_-_Kreuzeswissenschaft.pdf/044&oldid=- (Version vom 3.8.2020)