Seite:Edith Stein - Kreuzeswissenschaft.pdf/049

aus Wikisource, der freien Quellensammlung
Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
Geist und Glauben. Tod und Auferstehung. (Nacht des Geistes)

§ 2. GEIST UND GLAUBEN. TOD UND AUFERSTEHUNG
(NACHT DES GEISTES)

Einleitung: Entwicklung der Fragen

Die Nacht des Geistes ist von Johannes als der schmale Weg bezeichnet worden. Zuvor aber war als Weg der Glaube genannt worden, und seine Dunkelheit hieß mitternächtlich. Der Glaube muß demnach in der Geistesnacht eine beherrschende Rolle spielen. Um darüber Klarheit zu gewinnen, wird man sich Rechenschaft geben müssen, was der Heilige unter Geist und unter Glauben versteht. Das ist keine leichte Aufgabe. Hinter allem, was er schreibt, steht eine Ontologie des Geistes. Aber es liegt uns keine Abhandlung darüber vor, vielleicht hat er selbst sich nicht einmal bemüht, für sich als Theorie zur Abhebung zu bringen, was an habituellem Wissen in ihm lebte und seine gelegentlichen Äußerungen bestimmte. Noch weniger wird er sich vermutlich gefragt haben, aus welchen Quellen sein Wissen stammte. Es war für sein Ziel nicht von Belang, darüber Klarheit zu haben. Und auch uns würde die Verfolgung dieser geistesgeschichtlich bedeutsamen Frage weit von unserm Wege abführen. An den sachlichen Fragen jedoch – was Johannes unter Geist und Glauben verstand – dürfen wir nicht vorbeigehen. Sie müssen aber beantwortet werden auf Grund dessen, was uns über die Nacht des Geistes gesagt wird. Eine gewisse Schwierigkeit liegt darin, daß die dunkle Nacht doppelt behandelt ist – in Aufstieg und Nacht – und daß beide Teile unvollendet sind.


1. Entblößung der geistigen Kräfte in der aktiven Nacht

a) Die Nacht des Glaubens als Weg zur Vereinigung

Die zweite Nacht ist dunkler als die erste, weil diese den niederen, sinnlichen Teil im Menschen angeht und darum mehr äußerlich ist. Die Nacht des Glaubens dagegen erfaßt den höheren, vernünftigen Teil, ist also innerlich und raubt der Seele das Licht der Vernunft oder macht sie blind.

„Die Theologen nennen den Glauben eine sichere, aber dunkle, dauernde Haltung (habitus) der Seele“; dunkel, weil „sie der Seele die von Gott selbst geoffenbarten Wahrheiten zum Glauben vorlegt, Wahrheiten, die über jedes natürliche Licht erhaben sind und allen menschlichen Verstand ohne jedes Verhältnis überragen. Daher

Empfohlene Zitierweise:
Edith Stein: Kreuzeswissenschaft. Editions Nauwelaerts, Louvain 1954, Seite 49. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Edith_Stein_-_Kreuzeswissenschaft.pdf/049&oldid=- (Version vom 3.8.2020)