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Untauglichkeit alles Geschaffenen als Mittel zur Vereinigung usw.

Wesenheit; sie ist gleichsam der Mund Gottes in der Liebe und (teilt sich) der reinen und bloßen Wesenheit der Seele mit durch den Willen als dem Mund der Seele in ihrer Liebe zu Gott“[1]. Bis dahin aber ist ein weiter Weg zurückzulegen. Gott führt die Seele stufenweise zu diesem erhabenen Gipfel empor. Er paßt sich zunächst ihrer Natur an, teilt ihr anfangs „das Geistige unter mehr äußeren, handgreiflichen .... Dingen mit“, unterweist sie „durch Vorstellungen, Bilder und auf sinnenfälligen Wegen ...., bald durch natürliche, bald durch übernatürliche, ferner auch durch eigenen Gebrauch der Vernunft, und hebt sie so allmählich zum höchsten göttlichen Geist empor“. In diesen göttlichen Erziehungsplan sind auch die Visionen der Einbildungskraft eingeordnet. Man soll aber bei ihnen nur auf das achten, „was in Gottes Absicht und Willen liegt, nämlich den Geist der Andacht. Denn zu keinem andern Zweck verleiht Er sie. Was Er aber nicht geben würde, wenn man jenes geistig fassen könnte, ohne Zuhilfenahme .... der Sinne“, davon soll man absehen[2].

Im Alten Bunde war es erlaubt, ja der göttlichen Ordnung entsprechend, nach Visionen und Offenbarungen zu verlangen und sich durch sie leiten zu lassen, weil Gott auf diese Weise Glaubensgeheimnisse eröffnete und Seinen Willen kundgab. Was Er jedoch „ehedem nur stückweise zu den Propheten geredet, das hat Er nunmehr im ganzen gesprochen, indem Er uns das Ganze gab, nämlich Seinen Sohn“. Früher sprach Gott, um Christus zu verheißen. Nun hat Er uns in Ihm alles gegeben und gesagt: „Ihn sollt ihr hören! ....“ (Matth. 17, 5). Nun noch nach Offenbarungen verlangen, wäre Mangel an Glauben. „In Ihm sind alle Schätze der Weisheit und Erkenntnis verborgen“ (Col. 2, 3). „So müssen wir uns denn in allem durch die Lehre unseres Herrn Jesus Christus, der da Mensch geworden ist, leiten lassen, sowie von Seiner Kirche und ihren Dienern, nach Menschenart und in sichtbare Weise, und müssen auf diesem Wege unsere Unwissenheit und unsere geistigen Schwächen heilen lassen .... Nichts was uns auf übernatürlichem Wege kund wird, soll man glauben als allein die Lehre des Gottmenschen Jesus Christus und Seiner menschlichen Diener .... Alles andere taugt nichts, und man darf es nur dann gläubig annehmen, wenn es mit der Lehre Christi übereinstimmt“. Auch im Alten Bunde war es nicht allen erlaubt, Gott zu befragen, und nicht allen gab Er Antwort, sondern nur den Priestern und Propheten. „Gott hat eben eine ganz


  1. a. a. O. B. II Kap. 14, E. Cr. I 168 ff.
  2. a. a. O. B. II Kap. 15, E. Cr. I 174 ff.
Empfohlene Zitierweise:
Edith Stein: Kreuzeswissenschaft. Editions Nauwelaerts, Louvain 1954, Seite 61. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Edith_Stein_-_Kreuzeswissenschaft.pdf/061&oldid=- (Version vom 3.8.2020)