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Läuterung des Willens

Unter sinnlichen Gütern versteht Johannes alles, was durch die äußeren Sinne wahrgenommen oder durch die inneren Sinne erarbeitet wird. Da Gott durch keinen Sinn zu erreichen ist, „wäre es zum mindesten ein nutzloses Unterfangen“, in den sinnenfälligen Gegenständen seine Freude zu suchen; der Wille könnte sich dann „nicht mit Gott beschäftigen und in Ihm allein seine Freude suchen“. Hält man sich aber nicht dabei auf, sondern richtet man, sobald man an solchen Dingen einen Genuß verspürt, seine Freude auf Gott, so braucht man diese Eindrücke nicht abzuweisen; „denn es gibt Seelen, die sich durch solche sinnenfällige Gegenstände in besonderer Weise zu Gott hingezogen fühlen“. Bei vielen allerdings scheint nur die Absicht auf Gott gerichtet zu sein, in Wahrheit „ist die Wirkung sinnliche Befriedigung, die Schwäche und Unvollkommenheit hervorruft, statt den Willen zu beleben und auf Gott hinzuwenden“. Wer dagegen durch die ersten Regungen jener Freuden sofort zu Gott hingelenkt wird, der gibt sich „keine Mühe, sie zu suchen; und wenn sie vor ihn hintreten, macht der Wille sich sofort frei von ihnen, weist sie von sich und wendet sich Gott zu“[1].

Die Hingabe an sinnliche Güter bringt neben den gemeinsamen Nachteilen, die sie mit aller Freude am Geschaffenen teilt, noch viele andere mit sich. Die Freude an sichtbaren Dingen ruft „Eitelkeit der Seele hervor, Zerstreuung des Geistes, ungeordnete Begierlichkeit, Unehrbarkeit, innere und äußere Ausgelassenheit, unreine Gedanken und Regungen des Neids. Die Freude am Anhören unnützer Worte erzeugt unmittelbar Zerstreuung der Einbildungskraft, Geschwätzigkeit und Neid, vermessenes Urteilen. Unbeständigkeit im Denken und noch viele andere sehr verderbliche Nachteile. Die Freude an süßen Wohlgerüchen erweckt Widerwillen gegen arme Menschen, der dem Geiste Jesu Christi zuwider ist, Abneigung gegen Dienstleistungen, geringe Bereitschaft des Herzens zu niedrigen Dingen und geistige Gefühllosigkeit, wenigstens im Verhältnis zur Begierlichkeit. Die Freude an köstlichen Gerichten führt unmittelbar zu übermäßigem Genuß, zu Zorn, Zwietracht, Erkaltung der Liebe gegen den Nächsten und die Armen.... Es entstehen daraus Zerrüttung des Körpers, Krankheiten und schlechte Regungen; dadurch mehren sich die Reize zur Ausschweifung. Sie erzeugt unmittelbar große Stumpfheit des Geistes und verdirbt den Geschmack an geistigen Dingen.... Schließlich entsteht aus dieser Freude auch Zerstreuung der übrigen Sinne und des Herzens und Unzufriedenheit mit vielen Dingen“. „Die Freude an der Berührung


  1. a. a. O. B. III Kap. 24, E. Cr. I 339 ff.
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Edith Stein: Kreuzeswissenschaft. Editions Nauwelaerts, Louvain 1954, Seite 85. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Edith_Stein_-_Kreuzeswissenschaft.pdf/085&oldid=- (Version vom 3.8.2020)