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Tod und Auferstehung

aber, die sie auffängt, gerät in ein Meer schrecklichsten Elends, weil Entgegengesetztes in einem Subjekt nicht bestehen kann....“ Darum fühlt sie sich gerade in diesem hellen Licht „so unrein und elend, daß es ihr scheint, als sei Gott gegen sie und sie .... Gott entgegen; sie glaubt von Gott wirklich verstoßen zu sein“. Sie wird gequält von der Furcht, sie werde nie Gottes würdig werden und habe all ihre Gnadenschätze eingebüßt. Denn jenes göttliche und dunkle Licht offenbart ihr ganz deutlich das ganze Sündenelend, und die Seele „sieht klar ein, daß sie aus sich nichts anders haben könne“[1].

Auf andere Weise wird die Seele gepeinigt auf Grund ihrer natürlichen, sittlichen und geistigen Schwäche. Wenn „die göttliche Beschauung sie mit einiger Stärke erfaßt, um sie zu kräftigen und zu beherrschen, leidet sie in ihrer Schwäche derart, daß sie beinahe verzweifeln möchte. Besonders manchmal, wenn die Beschauung sie mit außerordentlicher Gewalt erfaßt, leiden Sinne und Geist, als ob sie von einer ungeheuren, dunklen Last zu Boden geworfen würden“; sie wünschen den Tod herbei als eine Erleichterung und Begünstigung. Staunenswert ist es, „daß die Seele so schwach und unrein ist und infolgedessen die an sich freundliche und liebevolle Hand so schwer und feindlich empfindet, da diese sie doch nicht drücken und ihr eine Last auferlegen will, sondern nur aus Barmherzigkeit sie berühren, .... nicht um sie zu züchtigen, sondern um ihr Gnade zu erweisen“[2]. Wenn die beiden Extreme, die von Gott kommende Beschauung und die Seele selbst, in Verbindung kommen, „zermürbt und vernichtet Gott die geistige Substanz der Seele und hüllt sie in eine so tiefe und schwarze Finsternis ein, daß sie sich .... der Vernichtung und Auflösung durch einen schrecklichen Geistestod preisgegeben glaubt....“ Was aber die betrübte Seele hier am schmerzlichsten empfindet, „ist der Gedanke, Gott habe sie allem Anschein nach verstoßen und als verabscheuungswürdiges Geschöpf in die Finsternis gestürzt.... Sie fühlt .... Todesschatten, Todesseufzer und Schmerzen der Hölle.... Es ist dies das Gefühl, ohne Gott zu sein, von Gott in Seinem großen Unwillen und Zorn verworfen zu sein, .... und noch dazu die furchtbare Angst, daß es allem Anschein nach immer so bleiben werde“. Schließlich kommt noch der Seele durch die Erhabenheit und Größe der dunklen Beschauung ihre tiefste Armut und ihr äußerstes Elend fühlbar zum Bewußtsein. Sie fühlt eine tiefe Leere und Armut an zeitlichen,


  1. a. a. O. E. Cr. II 60.
  2. a. a. O. § 1 Kap. 5, E. Cr. II 61.
Empfohlene Zitierweise:
Edith Stein: Kreuzeswissenschaft. Editions Nauwelaerts, Louvain 1954, Seite 110. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Edith_Stein_-_Kreuzeswissenschaft.pdf/110&oldid=- (Version vom 3.8.2020)