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unaussprechlich. Sie ist unendlich und darum auch unendlich zart[1]. So kann sie „ewiges Leben kosten lassen“. Das ist nicht unmöglich, wenn Gottes Wesen die Seele in ihrem Wesen berührt. Die Wonne, die man dabei fühlt, ist unaussprechlich. „Ich will mich auch nicht darüber aussprechen, damit man nicht meine, dies ginge nicht über alles hinaus, was sich mit Worten sagen läßt“. Die Seelen haben für diese erhabenen göttlichen Dinge ihre eigene Ausdrucksweise, die nur der versteht, dem sie zuteil werden: er freut sich ihrer und hält sie geheim. Es ist damit wie mit dem Namen auf dem weißen Stein: niemand kennt ihn, als der ihn empfängt (Apoc. 2, 17). So gewährt die göttliche Berührung den Vorgeschmack des ewigen Lebens, wenn auch die Freude noch nicht so vollkommen ist wie in der ewigen Herrlichkeit. Die Seele kostet hier „durch Teilnahme alle göttlichen Reichtümer, die Kraft, die Weisheit und Liebe, die Schönheit, Anmut und Güte usw. Und weil Gott all das ist, kostet es die Seele in einer einzigen göttlichen Berührung, und zwar mit all ihren Fähigkeiten und ihrem Wesen. Von diesem beseligenden Ge­nuß der Seele ergießt sich manchmal auch die Salbung des Heiligen Geistes auf den Leib. An diesem Genuß nimmt das ganze sinnliche Wesen teil, alle seine Glieder, Gebeine und selbst das Mark der Ge­beine kosten ihn .... mit dem Gefühl großer Wonne und Herrlich­keit, das sich bis in die äußersten Gelenke der Hände und Füße wahrnehmen läßt“[2]. In diesem Vorgeschmack des ewigen Lebens fühlt sich die Seele reichlich und weit über alle Gebühr belohnt für alle früheren Mühen, Betrübnisse, Beschwerden und Bußübungen. Und so ist „alle Schuld bezahlt“.

Wenn so wenige „zu diesem erhabenen Stand der vollkommenen Vereinigung mit Gott gelangen“, so ist die Ursache nicht bei Gott zu suchen, denn Er würde gern alle vollkommen sehen. Aber Er findet nur wenige Gefäße, die die notwendige „hohe und erhabene Bearbeitung ertragen“. Die meisten „weigern sich, geringfügige Trostlosigkeiten und Abtötungen auf sich zu nehmen, und auch, mit beharrlicher Geduld zu wirken.... Und so führt Er sie auch nicht weiter vorwärts, um sie durch das Werk der Abtötung zu reinigen und aus dem Staub der Erde zu erheben.... O ihr Seelen, die ihr im geistlichen Leben in Sicherheit und Tröstungen zu wan­deln wünscht, wenn ihr doch wüßtet, wie notwendig euch die Lei­den sind, um zu dieser Sicherheit und diesem Trost zu gelangen.... Nehmt .... das Kreuz auf euch und trinkt, daran geheftet,


  1. a. a. O. Str. 2 V. 3, Obras IV 35 ff. u. 140 ff.
  2. a. a. O. Str. 2 V. 4, Obras IV 37 f. u. 143 f.
Empfohlene Zitierweise:
Edith Stein: Kreuzeswissenschaft. Editions Nauwelaerts, Louvain 1954, Seite 179. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Edith_Stein_-_Kreuzeswissenschaft.pdf/179&oldid=- (Version vom 7.1.2019)