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Walther Kabel: „Ehrliche Leute!“ (Bibliothek der Unterhaltung und des Wissens, Band 12)

Täschchen probierten achtundvierzig Damen. Weit häufiger wurde jedoch von Herren und Damen mit dem Taschentuch, das man ‚zufällig‘ über den Stein deckte, operiert. Zusammengelegte Handschuhe waren bei den diebischen Griffen als Deckmantel, wenn man so sagen darf, weniger beliebt, da sie die ‚arbeitenden‘ Finger nicht genügend vor aufmerksamen Blicken schützten. Dagegen wurden mitgebrachte Päckchen schon wieder häufiger angewendet. Mehrfach erschienen Kunden, die beim ersten Vesuch die Gelegenheit zu einem kleinen Griff nach dem ‚liegen gebliebenen‘ Brillanten nicht für günstig erachtet hatten, an demselben Tage sehr bald wieder im Laden, kauften eine Kleinigkeit, verrieten aber zumeist durch eine gewisse nervöse Unruhe, welchen Zweck sie in Wahrheit verfolgten. Jedenfalls hat es bisweilen mir und meinem Personal die allergrößte Anstrengung gekostet, unsere Heiterkeit angesichts dieser kleinen Diebesmanöver zu verbergen, die auf die Eingeweihten notwendig recht komisch wirken mußten. Diese meine Beobachtungen zeigen, daß unser moderner Satyriker Bernhard Shaw nicht ganz unrecht hat, wenn er sagt: ‚Wir Menschen sind sämtlich zu Dieben und Betrügern geboren. Wenn es trotzdem so viele ehrliche Menschen zu geben scheint, liegt dies lediglich daran, daß ein großer Prozentsatz das Stehlen und Betrügen nicht nötig hat, ein noch größerer sich dabei nicht abfassen läßt, und nur wenige so dumm und so ungeschickt dabei sind, der Polizei und dem Gericht Beschäftigung zu geben.‘“ –

An dieser Stelle mag auch noch eine Geschichte berichtet werden, die auf ein verwandtes Gebiet, das der „ehrlichen Finder“, überspielt. Vor zwanzig Jahren gab es in einer bekannten Künstlerkneipe in Berlin einen Stammtisch, zu dem viele Schauspieler, Schriftsteller und auch einige Vertreter anderer Berufe gehörten. „Eines Tages,“ so erzählt ein berühmter Opernsänger in seinen Erinnerungen, „verirrte sich das Gespräch an unserem Stammtisch auf ein Gebiet, das uns harmlos frohen Menschen eigentlich recht fern lag: das der menschlichen Ehrlichkeit. Nach vielem Hin und Her behauptete der Rechtsanwalt St., daß von zehn Personen, die Bargeld unter Umständen fänden, die eine Entdeckung als ziemlich ausgeschlossen

Empfohlene Zitierweise:
Walther Kabel: „Ehrliche Leute!“ (Bibliothek der Unterhaltung und des Wissens, Band 12). Union Deutsche Verlagsgesellschaft, Stuttgart, Berlin, Leipzig 1914, Seite 223. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Ehrliche_Leute!.pdf/4&oldid=- (Version vom 31.7.2018)