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Walther Kabel: Ein Strandspaziergang mit Lebensgefahr. In: Die Burg, 2. Jahrgang, S. 449–452

Ein Strandspaziergang mit Lebensgefahr.

Selbsterlebtes[ws 1] von W. Kabel.


Ein Zufall hat mich dazu bewogen, den jungen „Burg“-Freunden hier ein Erlebnis zu schildern, wie es wenigen Menschen begegnen dürfte, – ein gefährliches Abenteuer, aus dem jeder leicht die darin enthaltene Lehre für sich entnehmen kann. Mit unheimlicher Klarheit tauchten urplötzlich jene Stunden, in denen ich zum ersten Mal in wirklicher Lebensgefahr schwebte, wieder vor meinem Geiste auf, als mir heute beim Aufräumen einer alten Kassette mit Andenken aus meiner Studienzeit eines jener Nickelmantelgeschosse in die Finger geriet, wie Sie die moderne Waffentechnik für unsere jetzigen Militärgewehre und -karabiner geschaffen hat.

Das sonst ganz unversehrte Geschoß mit den feinen Rillen in dem Stahlmantel, die von dem Einpressen in die Züge des Laufes herrühren, habe ich mir damals vor nunmehr zwölf Jahren als Andenken aufgehoben.

Und nun das Abenteuer. Mein Intimus Karl und ich hatten im Sommersemester 1901 bereits Mitte Juli die alte preußische Krönungs- und Universitätsstadt Königsberg, wo wir Jurisprudenz studierten, verlassen und waren zu unseren in Danzig wohnenden Eltern heimgekehrt. Für einen der ersten Augusttage verabredeten wir einen längeren Morgenspaziergang, der uns am Strande der Danziger Bucht entlang von dem kleinen Badeorte Brösen nach dem etwa 11/2 Meilen entfernten Seebade Zoppot führen sollte.

Es war ein völlig windstiller Tag. Das Meer lag wie ein Spiegel da, und der Widerschein des klaren Tagesgestirns zog eine breite, flimmernde Bahn über die tiefgrüne, unbewegliche Wasserfläche. Nur hin und wieder rauschte eine Brandungswelle, hervorgerufen durch einen vorüberfahrenden Dampfer, gegen das flache Gestade und ließ die in weißen Streifen aufgehäuften Muscheln mit knisterndem Knirschen sich aneinander reiben … In gehobenster Stimmung schritten wir dahin und machten uns immer wieder auf all die Schönheiten aufmerksam, die die Danziger Bucht mit Ihrem dunklen Hintergrund der Nadelwälder und den in ihren weiten Bogen eingestreuten Villengruppen der Badeorte bietet. Nichts störte die stimmungsvolle Ruhe dieser Vormittagsstunde … Einige hundert Meter vor uns ging eine größere Gesellschaft von Herren und Damen, die wohl ebenfalls nach Zoppot wollten. Sonst war weit und breit kein lebendes Wesen zu sehen.

Nur einige Krähen flatterten am Strande hin und her und suchten nach toten Fischen, die das Meer ausgeworfen hatte …

Anmerkungen (Wikisource)

  1. Tatsächlich hat Walther Kabel hier die bereits 1910 in Reclams Universum, Moderne Illustrierte Wochenschrift, 26. Jahrgang auf den Seiten 1185–1189 erschienenen Novelle Im Kugelregen stark eingekürzt und für die Jugend überarbeitet.
Empfohlene Zitierweise:
Walther Kabel: Ein Strandspaziergang mit Lebensgefahr. In: Die Burg, 2. Jahrgang, S. 449–452. Verlag der Paulinus Druckerei, Trier 1914, Seite 449. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Ein_Strandspaziergang_mit_Lebensgefahr.pdf/2&oldid=- (Version vom 31.7.2018)