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Adolphe D'Ennery, Gustave Lemoine: Herzmutterchen!

Therese (geht zum Tisch). Und komme doch immer zu spät, um Ihren Laden aufmachen zu sehen.

Emil. Nun ja, unser Eins ist früh an der Arbeit. Habe sogar schon Besuch bekommen – (bei Seite) Wenn Sie wüsste, wen! Aber – keine Sylbe!

Therese. Sie wollen sich wohl Ihren kleinen Lehrling, den Benjamin holen – ich werde den kleinen Langschläfer wecken.

Emil. Nein, Mamsellchen, ich wollte Ihren Aeltesten sprechen.

Therese. Meinen Bruder Isidor? Der ist nicht da!

Emil. Schon an die Arbeit gegangen?

Therese. Gestern nicht zu Haus gekommen.

Emil. Ei der Tausend!

Therese. Oh, ich habe deswegen keine Besorgniss. Es gab wahrscheinlich in Herrn Pleyels Atelier dringende Bestellungen, und da hat er ihn nicht fortgelassen. Sie können ihn ja gar nicht entbehren – er ist aber auch so heiter, liebenswürdig, gefällig und – wie geschickt!

Emil (achselzuckend). Schon gut, schon gut! Wenn nur der Rabourdin nicht wieder dahinter steckt?

Therese (rasch auf ihn zugehend). Rabourdin! Das ist unmöglich! Hab’ ich ihn nicht so bitter darum getadelt und gescholten? Hat er mir nicht fest gelobt, ihn nie wieder zu sehen? Solch einen Taugenichts, der ihn in den letzten Aufstand verwickeln wollte, und ihn ohne Herrn Arthur, Isidor’s edelmüthigen Vertheidiger, in’s Verderben gestürzt hätte. Herr Arthur rettete ihn aber und den Liebesdienst werde ich ihm nie vergessen. (Sie schliesst ihr Ausgabebuch ein).

Emil. Nun, nun! Was hat er denn Grosses gethan, der Herr Advokat? Er hat ein Viertelstündchen hin und her disputirt, und das war Alles.

Therese. Mein Gott, Emil, Sie sind mir unbegreiflich. Sobald die Rede auf Herrn Arthur kommt, sind wir gleich uneins. (Bewegter) Dem lassen Sie nie Gerechtigkeit widerfahren, und das ist nicht brav von Ihnen, denn er ist so gut, so einfach, für einen Präsidentensohn so bescheiden bei allem Talent und Kenntnissen. (Emil schüttelt den Kopf.) Ja, mein Herr, ich sage es Ihnen – er hat Talent – ausserordentlich grosses Talent. (Sie hat einen kleinen Federwedel vom Secretair genommen und stäubt die Meubles damit ab.)

Emil. Ei, wenn Sie es sagen, glaube ich es ja schon! Aber jeder hat sein eigenes Verdienst, jeder arbeitet und strebt in seinem Amt, und mit Gottes Beistand gelingt’s ihm. Ich könnte allerdings nicht wie Herr Arthur mit Eleganz und Gewähltheit eine Rede stellen, doch ihm würde es noch schwerer fallen, einen Tischfuss zu drechseln. Uebrigens war es auch immer meine feste Ueberzeugung, dass nicht er den Isidor gerettet hat, sondern Sie.

Therese (sich ihm nähernd). Ich! – Wie wäre das möglich gewesen? –

Emil. Wer hätte Ihnen widerstehen können. als Sie mit thränenschweren, gesenkten Blicken sich vor den Richtern niederwarfen? Wie der alte lange, magere Präsident, Arthurs Vater, Sie fragte: „Wer sind Sie, Mademoiselle, dass Sie den Angeklagten so warm reklamiren?“ „‚Ich bin seine Mutter‘“ riefen Sie. „Unmöglich,“ sprachen die Richter betreten, „Sie sind jünger als er!“ – „Gleichviel, mein Herr, ich bin seine Mutter, denn die Unsere ist seit vier Jahren todt und ich, ich bin’s, die Mutterstelle bei den Brüdern und der Schwester vertritt. Seht, mir vertraute sie sie an, vielleicht wachte ich nicht sorgfältig genug über ihn – so ist sein Vergehen, sein Fehler auch der Meine. O, meine Herren, geben Sie mir ihn wieder, um der Religion willen, geben Sie mir ihn zurück.“ (Er weint.) Und kein Auge blieb trocken, kein Herz ungerührt, alles weinte! Der Präsident – die Richter – selbst der Gerichtsschreiber und ich in meinem Winkel mehr als Alle.

Therese (die bisher die Augen fest auf der Mutter Bild geheftet). Guter Emil, Sie nehmen herzlichen Antheil an uns. Ich weiss es wohl. –

Emil (lebhaft). Bloss Antheil, Mamsell Therese? Ist meine Heimath nicht die Ihre? Das theure Orleans! Nahm mich Ihr braver Vater nicht als arme Waise liebevoll auf, bevor ihn das Unglück heimsuchte? (Mit Nachdruck) Sind wir nicht seit langen Jahren schon wie Bruder und Schwester.

Therese (ihm gerührt die Hand reichend). Ich hoffe doch, dass wir es immer sein und bleiben werden.

Emil. Immer! (Seufzend) Immer! Das ist sehr lange – zur Veränderung könnten wir vielleicht –

Therese. Was denn? – ich verstehe nicht. (Sie geht zum Kamin, dann zum Tisch.)

Emil (folgt ihr verlegen). Sehen Sie – weil ich doch jetzt Meister bin – und mir meine Arbeiten keine Schande machen. –

Therese. Das will ich meinen! – Ist der Beweis nicht hier? Ist der kleine Secretair, den Sie mir gefertigt, nicht ein wahres Meisterstück? (Geht zum Secretair.)

Emil. Ei nicht doch – sehen Sie – da dachte ich – da sagte ich so zu mir selbst: ich für mein Theil könnte schon Brod schaffen – und wenn nun gar zwei wären, die da arbeiteten –

Therese. Wie meinen Sie?

Emil. Ja, ich meinte, wenn man so – so – so – Ach, ich werde Ihnen das Uebrige ein anderes Mal sagen. –

Therese (b. S.). Armer Emil – Du treues Herz liebst mich – ach, und ich – (bleibt nachdenkend).

Emil (b. S.). Weiss der Himmel, sie macht heut gar keine Anstalt zum Fortgehen – das passt mir aber gar nicht in meinen Kram. (Laut) Mamsell Therese, haben Sie keine Arbeit an den Verleger abzuliefern?

Therese (setzt sich an den Arbeitstisch). Ich that es gestern und will heute doppelt fleissig sein. (Sie arbeitet an einer Platte.)

Emil (b. S.). Oh weh, oh weh – halt – ein Gedanke! (Laut) Apropos, Mamsellchen, sagten Sie nicht gestern, dass Sie um Schwester Louischen besorgt seien?

Therese (rasch). Ja wohl, lieber Emil, sehr besorgt! Ihr letzter Brief war so traurig! Sie verbirgt mir ihren Kummer, ich bin’s gewiss, und seit 14 Tagen hat sie gar nichts von sich hören lassen.

Emil. Mir ahnt, als würden Sie heut von ihr erfahren. –

Therese. Glauben Sie?

Emil (b. S.). Das ist gottlos von mir. (Laut) Schrieb sie Ihnen nicht schon einmal poste restante? Vielleicht hat sie das wieder gethan.

Therese. Wahrhaftig, daran hab’ ich gar nicht gedacht!

Emil. Wollen Sie nicht gehen und nachfragen?

Therese (springt auf). Sie haben Recht ich eile zur Post – (nimmt Hut und Tuch) Bleiben Sie so lange hier?

Emil (ist ihr behülflich). Ja gewiss, Mamsellchen! (b. S.) Vortrefflich, sie geht. (Laut) Haben Sie nur guten Muth, ich prophezeihe Ihnen Freude bei der Rückkehr.

Therese (schliesst das Büreau zu). Auf Wiedersehen! (sie geht.)

Empfohlene Zitierweise:
Adolphe D'Ennery, Gustave Lemoine: Herzmutterchen!. Druck und Verlag von A.W. Hayn, Berlin 1847, Seite 2. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Ennery_Lemoine_Herzmutterchen_1847.pdf/2&oldid=- (Version vom 23.6.2023)