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Bei diesem Ineinander der Gedanken ist aber gleichwohl in dem Hauptinhalt der einzelnen Teile ein erkennbarer Fortschritt, wie er oben bereits angedeutet wurde; und zwar in mehrfacher Beziehung. Im 1. Abschnitt kommt z. B. der Ausdruck „Knecht des HErrn“ noch in dreifachem Sinne vor; aber vom 2. Abschnitt an verschwindet Cyrus und auch Israel wird nicht mehr mit jenem Namen genannt, sondern allein der Messias; es gibt zwar im zweiten und dritten Abschnitt noch Knechte in der Mehrzahl, aber der Knecht des HErrn ist bloß einer.

 Dieselbe Eigentümlichkeit finden wir übrigens schon im ersten Teil, wo z. B. c. 13–27 die Erlösung von Assur, Babel und von der Herrschaft der Heiden überhaupt in ähnlicher Weise in einander geschoben ist. Mit Erlösung von Babel beginnt der Abschnitt c. 13 und 14. Mit c. 21–23 kommt er wieder darauf; dazwischen handelt er von der Errettung aus assyr. Bedrängnis geht aber c. 19, 16–c. 26 weit über dieselbe hinaus, bis in die ferne Zukunft des c. 25, während er c. 27, 1 wieder seiner eigenen Gegenwart näher kommt; ähnlich verhält es sich mit c. 7–12 und c. 28–35. Die Eigentümlichkeit des ganzen Buches spiegelt sich dazwischen in einem einzelnen Kapitel besonders ab z. B. in c. 26.

 5. Hiebei ist vorausgesetzt, daß Jesaja Verfasser des ganzen Buches sei. Indes darf nicht verschwiegen werden, daß diese Voraussetzung, nachdem schon Ibn Esra, ein jüdischer Exeget des 12. Jahrhunderts und ihm nach Spinoza († 1677) Bedenken dagegen ausgesprochen, nicht bloß seit dem Auftreten des Rationalismus vielfach bestritten wurde, sondern auch von gläubigen Theologen der neuesten Zeit aufgegeben worden ist. Man sagt: die geschichtliche Umgebung, welche der II. Teil des Buches, c. 40–66, überall zur Voraussetzung habe, sei ein deutlicher Beweis, daß derselbe in der zweiten Hälfte der babylonischen Gefangenschaft, und zwar in der Zeit zwischen dem Beginn der Siegeslaufbahn des Königs Cyrus und dem Falle Babels entstanden sei. Die Verbannung nach Babylon nämlich, sowie die Zerstörung Jerusalems und des Tempels würde nirgends vorausgesagt, sondern vorausgesetzt. Vom Siegeslauf des Cyrus werde als von etwas den Lesern Bekanntem geredet. C. 45, 1 spreche von ihm als einem bereits Aufgetretenen. Angeredet seien die in Babel gefangenen Volksgenossen des Verfassers; sie aufzurichten durch die Hoffnung einer herrlichen Zukunft sei der Zweck des Buches. Wolle man nun an der Autorschaft des zur assyrischen Zeit lebenden Jesaja festhalten, so müsse man annehmen, daß dieser durch den Geist so ganz in die ferne Zukunft des babylonischen Exils entrückt worden sei, daß er nicht etwa nur