Seite:Ferdinand Wilhelm Weber - Kurzgefaßte Einleitung in die heiligen Schriften (11. Auflage).pdf/280

aus Wikisource, der freien Quellensammlung
Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.

Überlieferung. Weil nun aber bald nach der Stiftung der Gemeinden innere und äußere Anfechtungen, Zweifel und Kämpfe eintraten und die Sicherheit des Glaubensbewußtseins trübten, weil ferner auch im Leben der Gemeinden Erscheinungen vorkamen, welche eine Zurechtweisung und Belehrung der Gemeinden erforderten, so ward ein neues apostolisches Wort nötig, welches die einfache evangelische Grundüberlieferung je nach dem vorliegenden Bedürfnis erneuerte und in Lehre und Praxis entfaltete. Dieses zweite apostolische Wort erging an schon gestiftete Gemeinden, und zwar von ihren Stiftern, den Aposteln, die inzwischen an anderen Orten das Evangelium verkündeten. Es erging somit in epistolischer Form oder durch apostolische Sendschreiben. So nahm die Schrift des Neuen Testaments ihren Anfang.

 2. Erst nach dieser epistolischen Litteratur entstand die evangelische. Sie ist nichts anderes als die in Schrift verfaßte apostolische Überlieferung von alle dem, was JEsus that und lehrte. Dieser Inhalt apostolischer Lehre hatte, wie oben bemerkt, in der ersten christlichen Generation zuerst in mündlicher Überlieferung fortgelebt. Aber als vom Jahre 60 ab ein Apostel um den anderen hinschied, ohne daß der HErr erschienen war, also somit die Kirche sich rüsten mußte für eine Zeit, wo sie ohne Apostelwort und Apostelleitung ihren Weg zu gehen hatte, da erwachte die Fürsorge für die Kirche, und was bisher mündlich fortgepflanzt worden war, das wurde um so mehr in Schrift verfaßt, als, wie Luk. 1, 1 ff. zeigt, die Überlieferung nach einem Menschenalter anfing, eine vielgestaltige und unsichere zu werden. So schenkte der HErr der Kirche in den Evangelien ein sicheres Denkmal apostolischer Überlieferung, welche der gewisse Grund christlicher Lehre sein und bleiben sollte.

 Anmerkung. Daß wirklich die Sicherung der apostolischen Überlieferung der Zweck ihrer Aufzeichnung war, das beweist, wenn es eines Beweises überhaupt bedarf, Luk. 1, 1–4, aus welcher Stelle wir erkennen, daß überhaupt nach Ablauf des ersten Menschenalters seit Jesu Hingang das Bedürfnis einer schriftlichen Aufzeichnung der evangelischen Geschichte erwachte (1, 1), und daß innerhalb der apostolischen Kreise die Notwendigkeit erkannt wurde, den mancherlei Aufzeichnungen solche gegenüberzustellen, welchen volle Glaubwürdigkeit zukäme und die ein authentisches Zeugnis über die apostolische Verkündigung sein könnten (1, 4).