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vorherrschend die galiläische, so schildert das des Johannes die judäische Wirksamkeit des HErrn. Dabei bringt es mannigfachen Ersatz für Uebergangenes; z. B. statt der Geschichte von der Einsetzung des hl. Abendmahls die Abendmahlsrede (Joh. 6, 26–65) u. a.; es erklärt auch häufig, was bei den Synoptikern dunkel geblieben ist z. B. den begeisterten Empfang am Palmsonntag c. 12, 18; den Verrat des Judas c. 12, 6. Doch trägt es deswegen nicht etwa den Charakter eines ergänzenden Nachtrages zu den übrigen Evangelien, sondern ist vielmehr ein kunstvolles Ganzes aus einem Guß. Noch weniger will es eine Kritik oder Korrektur der synoptischen Evangelien sein.

 Die Anlage des Evangeliums ist im ganzen und großen diese:

 Eingang 1, 1–18. Das ewige Wort,[1] welches von Anfang an beim Vater war, das Leben in ihm selbst ist und das Licht der Menschen gewesen ist, ist Fleisch geworden, von der Welt aber, die die Finsternis mehr liebte als das Licht, nicht aufgenommen; denen aber, die an ihn glaubten, die Quelle des ewigen Lebens, welches zu offenbaren er vom Vater kam. Diese drei Grundgedanken beherrschen die Gruppierung des ganzen Evangeliums.

 I. Die erste Einführung JEsu in die Welt 1, 19–4, 54.

 a) Sie geschieht durch das Zeugnis des Täufers, der hier nicht wie bei den Synoptikern als der Bußprediger Israels, sondern nur als der Zeuge von JEsu erscheint, als welcher er vor der Gesandtschaft des Hohenrats in Jerusalem (19) bekennt, daß er nicht der Christ, sondern nur dessen Wegbereiter sei, und sich von ihm unterscheide, wie der Zeitliche vom Ewigen, wie der Diener von dem HErrn. Dieses Zeugnis bekräftigt er durch die Berufung auf die wunderbaren Vorgänge bei der Taufe JEsu (1, 20–34). b) Durch seine Selbstoffenbarung im Worte an die Jünger, welche von Johannes auf JEsum, den Heiland, der der Welt Sünden tragen soll, verwiesen, ihm folgen und aus dem ersten Eindruck der Begegnung mit JEsu die Überzeugung gewinnen, daß er der Messias, der Sohn Gottes sei (1, 35–52). Endlich c) durch seine Selbstoffenbarung in der That und zwar zunächst im Jüngerkreise durch das Wunder


  1. Man hat in der johanneischen Bezeichnung des HErrn als des Logos einen Anklang an alexandrinische oder jüdische Spekulation finden wollen, aber mit Unrecht. Der Ausdruck ist zweifelsohne von Johannes geprägt und bezeichnet in einer an Hebr. 1, 1 erinnernden Weise Jesum als den Träger aller Gottesoffenbarung, ja als die persönliche Offenbarung Gottes an die Welt. Als Mittler der Weltschöpfung und als der Welt innewohnendes Lebensprinzip (1, v. 3 u. Col. 1, 16–17) hatte er ein auch durch die Sünde (Finsternis) nicht aufgehobenes Verhältnis zu allem Geschaffenen, insonderheit zur Menschenwelt, so daß er, als er der Menschheit sich einsenkte, in sein Eigentum kam, und in der Menschwerdung seine Einwohnung in der Welt sich nur vollendete. Das Verhältnis Gottes zur Welt und der Welt zu Gott ist von jeher und in jedem Moment nur als ein durch Christum vermitteltes zu denken. Dies die praktische Bedeutung der Logoslehre des Johannes.