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Frances Külpe: Rote Tage : baltische Novellen aus der Revolutionszeit

des schmalen Weges. Über knorrige Wurzeln und durch tiefe Regenlachen ächzte der Wagen, stolperten die müden Pferde. Granting ließ sie ruhig im Schritt gehen, und das flackernde Licht der Wagenlaterne malte rötliche flirrende Lichter auf die Föhrenstämme, sie schienen sich zu bewegen und umeinander zu drehen wie im langsamen gespensterhaften Reigen.

Claire atmete tief auf. „Allein würd’ ich mich fürchten,“ murmelte sie.

„Und jetzt?“

Sie lächelte. „Jetzt ist’s schaurig süß, so wie wenn die alte russische Bábuschka uns Kindern eine schöne Gespenstergeschichte erzählte. In der russischen Familie hatten die Kinder solch eine alte Großmutter. Ich liebte sie sehr.“

„Ihre Kindheit ist doch reicher als die meine, trotzdem Sie elternlos waren ... ich habe niemanden so recht geliebt, aber jetzt will ich’s nachholen!“

Wieder schwiegen sie. Ihre Herzen waren zu voll. Allmählich lichtete sich der Wald, die Straße führte an einem Staketzaun vorüber, die Torflügel des Parkes waren geschlossen. Durch Bäume und Buschwerk hindurch schimmerte Licht. Ein heiserer Hund schlug an.

„Das ist die Forstei Marienhof,“ sagte Ernst Philippi. „Jetzt sind wir nur noch eine halbe Stunde vom Pastorat.“

„Schon!“ rief Claire bedauernd.

Empfohlene Zitierweise:
Frances Külpe: Rote Tage : baltische Novellen aus der Revolutionszeit. S. Schottländers Schlesische Verlagsanstalt, Berlin 1910, Seite 40. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:FrancesKuelpeRoteTage.pdf/40&oldid=- (Version vom 1.8.2018)