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Frances Külpe: Rote Tage : baltische Novellen aus der Revolutionszeit

in ein klares sympathisches Gesicht hinein. Die Augen hatte einen suchenden, forschenden Ausdruck und glänzten zuweilen strahlend auf, als hätten sie ein Rätsel erraten. Um den weichen Mund lag ein schmerzlicher Zug, doch konnte er oft kinderfroh und gewinnend lächeln. Der ganze Ausdruck war der eines verdorbenen, ahnungsvollen Kindes.

Der Pastor sah seine Frau an und strahlte. „Sie macht nie Phrasen, das kann ich bezeugen, mein Fräulein,“ sagte er lachend, „sie sagt aber zuweilen unbequeme Wahrheiten.“

„Aber du!“ schmollte die Pastorin. „Was soll denn Fräulein Schenkendorff von mir denken nach solcher Einführung? – Kommen Sie liebes Fräulein, und Sie, Herr Kandidat, das Abendessen ist bereit. Kinder bringt einen Schal für Fräulein Schenkendorff!“

Wie die Pfeile schnellten die kleinen Mädchen davon.

Man trat in den geräumigen Saal. Neugierig blieben Ernst Philippis Augen an den dekorativ geschmückten Türflügeln und an dem mächtigen altmodischen Ofen hängen, auf dem in glühenden Farben eine Pyramide in einer ägyptischen Palmenlandschaft gemalt war.

„Ein Winkelchen aus dem Sonnenlande!“ sagte die Pastorin lächelnd. „Es ist das ein Anziehungspunkt für die ganze Nachbarschaft geworden. Kommt man nicht zu den Menschen, so kommt man wenigstens zum Ofen. Jedem das Seine.“

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Frances Külpe: Rote Tage : baltische Novellen aus der Revolutionszeit. S. Schottländers Schlesische Verlagsanstalt, Berlin 1910, Seite 45. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:FrancesKuelpeRoteTage.pdf/45&oldid=- (Version vom 31.7.2018)